Trump, der Frosch und die Nazis

Der Präsident und die Rechtsradikalen verhalfen sich gegenseitig zum Aufstieg

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 9 Min.

Als Donald Trump mit zwei Tagen Verspätung die Ereignisse in Charlottesville (Virginia) vom vergangenen Wochenende als »rassistische Gewalt« und deren Vertreter als »Kriminelle und Verbrecher« bezeichnete, durchfuhr ein kurzer Schrecken Amerikas radikale Rechte. David Duke, Ex-Chef des rassistischen Ku-Klux-Klans (KKK), kommentierte Trumps Äußerung via Twitter mit der Feststellung, dass der Präsident mit seiner einseitigen Kritik der Antifa und Black-Lives-Matter-Bewegung die Erlaubnis gegeben habe, die »Alt Right« zu vernichten. Seinen Tweet schloss er mit den apokalyptischen Worten: »Der rote Terror beginnt.« Doch wer genau hinhörte, konnte erkennen, dass sich Trump keinesfalls von seinen eifrigsten Unterstützern lossagen wollte. Im Gegensatz zu seinem Justizminister Jeff Sessions vermied es der Präsident, vom »heimischen Terrorismus« zu sprechen. Doch wie hätte sich der detailliert dokumentierte Moment sonst bezeichnen lassen, als der rechtsradikale James Alex Fields am Samstag mit seinem Auto in eine Gegendemonstration raste, die junge Antifaschistin Heather Heyer tötete und 19 weitere Menschen verletzte? Auf Fotos und Videos ist die Attacke gut zu erkennen, von einem Unfall oder unglücklichen Zufall dürfte nach Sichtung des Materials niemand ausgehen.

Doch die Geschichte von Donald Trump und der »Alt Right« ist auch die Geschichte alternativer Fakten. Diesseits wie jenseits des Atlantiks bemüht sich die radikale Rechte, den Anschlag entweder nur als ein Ereignis von vielen dieser Tage in Charlottesville kleinzureden oder eine völlig andere Erzählung des Vorgangs über ihre eigenen Websites und Blogs zu verbreiten. Hierzulande behauptet das neurechte Magazin »Blaue Narzisse« etwa, die »Systemmedien« würden versuchen, »einen aktuellen Sieg der Patrioten als ›rechte Gewalt‹ zu diffamieren« und dabei lügen, »dass sich die Balken biegen«. Die Beweisführung mutet abenteuerlich an: So ist von »einem Auffahrunfall« die Rede (Tatsächlich und glücklicherweise stoppte ein zweiter Wagen die Horrorfahrt). Von einem »rechten Terroranschlag« könne deshalb nicht die Rede sein, weil ein ernsthafter Terrorist versucht hätte, noch mehr Menschen zu überfahren. Schließlich hätten doch auf dem Gehweg noch deutlich mehr von diesen »Antifa-Leuten« gestanden. 20 Opfer und ein rasantes Zurücksetzen des Wagens sind für einen »Blaue Narzisse«-Autoren quantitativ nicht genug, um zumindest auf den Gedanken zu kommen, der Fahrer hätte mit Absicht gehandelt.

Auch Duke und andere rechte US-Meinungsmacher versuchten Charlottesville als »großen Sieg« für »Millionen weißer Amerikaner« zu verkaufen, das führende Portal der radikalen Rechten in den USA, »Breitbart News«, verbreitete die Geschichte, die im negativen Sinne als »Mainstream« bezeichneten großen Medienhäuser wie CBS News oder MSNBC veranstalteten erneut eine Jagd auf Trump, weil er sich nicht ausreichend von politischen Extremisten distanziere, was er doch in Wahrheit regelmäßig tue.

Nun zählt es schon seit dem Vorwahlkampf 2016 zu Trumps Strategie, nicht nur seine eigene Meinung notfalls schlagartig der öffentlichen Stimmung anzupassen, sondern sich mit gegensätzlichen Aussagen innerhalb kurzer Zeit an verschiedene Adressaten zu wenden. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass der US-Präsident sein Urteil über die »rassistische Gewalt« von Charlottesville am Dienstag relativierte und erneut die Verantwortlichen auf allen Seiten suchte. Applaus bis tief hinein ins rechtsradikale Lager war Trump damit sicher, hatte er die »Alt Right« mit seinen Worten sogar indirekt aufgewertet.

Zur Erzählung der radikalen Rechten gehört es, dass die USA ohnehin viel zu lange unter linker Meinungsführerschaft gestanden hätten. Diese Hegemonie sei nun dabei zu zerbrechen, in Charlottesville seien sich »Alt Right« und Linke auf Augenhöhe begegnet. Alle seien schließlich gleichermaßen an den Krawallen beteiligt gewesen.

Dass Trump nun auf die Rechtsradikalen und die vielen rassistischen Gruppierungen zugeht, hat einen simplen Grund: Landesweit ist nur noch etwa ein Drittel der US-Amerikaner von der Arbeit ihres Präsidenten überzeugt, da glaubt Trump, er dürfe es sich nicht auch noch mit seiner Kernwählerbasis verscherzen, die zu einem beträchtlichen Teil die Ansichten der »Alt Right« teilt.

Ex-KKK-Chef Duke hatte dieser Tage bereits die Muskeln spielen lassen und Trump gewarnt, er dürfe nicht vergessen, wer ihn ins Amt gebracht hätte. Die Drohung dürfte sich nicht nur auf den eigentlichen Wahlakt vergangenen November bezogen haben. »Alt Right«-Vordenker wie Richard Spencer hatten sich im Vorwahlkampf der Republikaner früh auf die Seite Trumps geschlagen und insbesondere über Blogs und die sozialen Netzwerke Stimmung für ihn gemacht. Der Publizist lässt sich als amerikanisches Pendant zum völkischen Nationalisten Götz Kubitschek bezeichnen. Beide begründen ihre Ideologie auch auf die Schriften des französischen Philosophen Alain de Benoist, der als maßgeblicher Vordenker der Neuen Rechten unter anderem das ideologische Rüstzeug für die »Identitäre Bewegung« lieferte, der sich Spencer verbunden fühlt. Was beide zudem eint, ist die Strategie, mit der sie ihre Vorstellungen von einem Ende des Multikulturalismus verbreiten. Kubitschek gründete ein »Institut für Staatspolitik«, Spencer das »National Policy Institute« (deutsch: Institut für Nationalpolitik). Noch viel wichtiger war jedoch die Erkenntnis, dass der mögliche Erfolg der radikalen Rechten maßgeblich von einer neuen Medienstrategie abhängen würde.

Anstatt sich auf die etablierten Medien zu verlassen, schufen die radikalen Rechten in den USA ihre eigenen Plattformen, die selbst erzkonservative Institutionen wie »Fox News« an Radikalität und Lautstärke übertreffen. Doch noch bevor Websites und Blogs wie »Breitbart«, »The Daily Stormer« oder »The Rebel Media« (Kanada) in der breiten Öffentlichkeit wirkliche Bekanntheit erlangten, arbeitete bereits eine wachsende Gruppe von zumeist jungen, weißen Männern im Hintergrund daran, im US-Wahlkampf das Netz mit Halbwahrheiten, Lügen, Diffamierungen und Pro-Trump-Bildern sowie -Videos zu fluten. Allein das Forum »the_donald« im bekannten Onlinenetzwerk Reddit brachte es zu Spitzenzeiten auf etwa 300 000 Nutzer. Im Querschnitt eint die Gruppe ihr Hass auf das, was sie unter Feminismus, politischer Korrektheit und Kritik an den Mainstreammedien verstehen. Von hier aus entstanden wiederholt Kampagnen, die die volle Bandbreite an virtueller Meinungsbeeinflussung enthalten. Tausende verabredeten sich unter anderem für Massenclick-Aktionen. So wurden Beiträge politischer Gegner auf Facebook und Twitter beispielsweise tausendfach zusammenhanglos mit Worten wie »rapist« (deutsch: Vergewaltiger) kommentiert. Dadurch versuchte die Internettrollarmee aus konservativen und stramm-rechten jungen Männern, jeglichen ernsthaften Diskurs zu unterbinden.

Auch ursprünglich vollkommen unpolitische Symbole vereinnahmte die Gruppe. Bekanntestes Opfer war Pepe, die Zeichnung eines menschenähnlichen Frosches, die bereits seit zwölf Jahren durch das Netz gereicht wurde und durch unzählige Varianten an Comics und Grafiken eine gewisse Bekanntheit erreichte. Im US-Wahlkampf 2016 kaperte Trumps Trollarmee Pepe und verkleidete diesen in harmloseren Darstellungen als Unterstützer des republikanischen Kandidaten, in härteren Varianten allerdings auch mal als Nazi mit Hitlerbart oder klischeehaften Juden, der lächelt, während im Hintergrund ein Flugzeug ins World Trade Center fliegt. Die Vielseitigkeit und die unterschiedlichen Provokationslevel der Pepe-Bilder stehen symptomatisch für das Problem, die »Alt Right« als homogene Bewegung zu erfassen. Vielmehr ist die Verwendung des Begriffs durchaus kritisch zu sehen, geht dieser doch mutmaßlich auf Spencer zurück. Dessen Ziel ist es - erneut werden Parallelen zu Kubitschek deutlich - ein Dach zu formen, unter dem sich weißen Rassisten, Rechtsradikale, Altnazis und bestenfalls auch erzkonservative Republikaner versammeln können. Nicht zufällig fand der Aufmarsch in Charlottesville unter der Parole »Unite the Right« (Eint die Rechte) statt.

Doch mag auch mit Steve Bannon ein wichtiger Vertreter der »Alt Right« bis Freitag als Einflüsterer Trumps im Weißen Haus gesessen haben, kann bisher noch nicht die Rede davon sein, dass die republikanische Partei vom Glauben an den »weißen Herrenmenschen« eingenommen worden ein. Und dennoch hat die Grand Old Party dazu beigetragen, dass dem Aufstieg völkischer Ideen in den USA Vorschub geleistet wurde. Mit dem Aufkommen der »Tea Party« nach der krachenden Niederlage der Republikaner gegen den Demokraten Barack Obama 2009 sah die Bewegung eines ihrer vordersten Ziele darin, die Erzählung vom bösen Establishment in Washington, das von den großen Medien gestützt werde, zu etablieren. Zweifler, egal ob es um die Leugnung des Klimawandels ging oder die Verächtlichmachung von Obamacare als »sozialistisches Projekt«, waren willkommen. Einendes Element ist der Libertarismus amerikanischer Prägung, der sowohl die Einmischung in die Wirtschaft als auch den Fürsorgestaat ablehnt. Punkte, die Ex-KKK-Chef Duke unterschreibt und die sich auch in Trumps Politik wiederfinden. Erst beim glühenden Antisemitismus des KKK zeigen sich die existierenden Gräben.

Nachdem Trumps Tochter Ivanka auf Charlottesville bezogen via Twitter erklärte, in den USA sei »kein Platz für Rassismus, weiße Vorherrschaft und Neo-Nazis«, reagierte Duke mit einer Bildmontage, die Ivanka und ihren Ehemann Jared Kushner in festlicher Kleidung zeigte. Auf das Kleid und den Anzug waren israelische Flaggen montiert, ein klarer antisemitischer Bezug zum jüdischen Glauben des Paares. Dass Duke mit derlei Provokationen durchkommt, hat mit dem amerikanischen Verständnis von Meinungsfreiheit zu tun, die allgemein weit ausgelegt wird. Auf eben diese beriefen sich auch die Rassisten in Charlottesville, als linke Gruppen Störaktionen gegen den rechten Aufmarsch ankündigten. Geeint war diese Mischung aus weißen Rassisten, Antisemiten, Patrioten und Schreihälsen gegen politische Anstandsregeln in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Virginia auch deshalb, weil ihnen Trump als Galionsfigur eine Projektionsfläche für ihre Ziele gibt. Eine Mauer nach Mexiko und die massive Einschränkung der Migration dienen ihnen als gemeinsame Teilziele, die aber von Vertretern wie Spencer oder Duke allenfalls als erste Etappen für einen gesamtgesellschaftlichen Rollback gesehen werden.

Und im Vergleich zur »Tea Party« verfügen die »Alt Right«-Anhänger über einen strategischen Vorteil: Sie sind nicht nur überdurchschnittlich netzaffin, sondern scheuen auch nicht die Zusammenarbeit mit anderen völkischen Nationalisten auf internationaler Ebene. So sammelten die europäischen Identitären, die derzeit auf dem Mittelmeer ihre Kampagne zur Abschottung Europas promoten, Geld für ihre Propagandaaktion mittels der US-Plattform WeSearch.com, die vom »Alt Right«-Anhänger Charles C. Johnson gegründet wurde. Diese Vernetzung der »Neuen Rechten« machte die Popularität mancher Protagonisten überhaupt erst möglich. Als bekanntestes Beispiel dient die Kanadierin Lauren Southern. Sie selbst und ihre Fans sehen in der 23-Jährigen eine unabhängige Journalistin, ihre auch auf Video festgehaltenen Reportagen sind allerdings glasklarer Agitprop. So entstand im Frühjahr ein Video, welches Southern gemeinsam mit anderen Identitären in einem kleinen Boot vor der Küste Italiens zeigt. Ihr Ziel: Das Schiff der Hilfsorganisation SOS Méditerranée bei seiner Arbeit zu »stören«. Viel mehr als das Entrollen eines Banners mit der Aufschrift »Kein Weg für Menschenhandel« wurde allerdings nichts daraus. Für einen Livestream, einen hippen Videoclip und reichlich Jubel der Anhängerschaft reichte dies allerdings völlig. Spencer und Kubitschek wären mit Sicherheit stolz.

Southern sieht Trump indes auch nur als Werkzeug. Bereits im Frühjahr, als der US-Präsident mit einem Luftschlag Syrien bombardieren ließ, kommentierte dies die »Alt Right«-Aktivistin mit den Worten: »Auch wenn (Trump) nicht funktioniert hat - er hat Syrien bombardiert - er war dennoch das Chaos, das wir wollten, um unsere Macht zu beweisen.« Auf lange Sicht könnte die Neue Rechte in den USA ihre derzeitige Ikone im Weißen Haus verstoßen, falls die politischen Maßnahmen in ihrem Sinne zu zögerlich kommen. Darüber hinwegtäuschen sollte auch nicht, dass Spencer kurz nach dem Wahlsieg des US-Milliardärs einen Saal in Washington D.C. mit dem Ruf »Heil Trump« mitriss. Auch nicht, dass nach Bannons Abgang selbiger erklärte, er würde nun mit »Breitbart News« wieder für Trump »in den Krieg« ziehen. Selbiges Geschrei ertönte zuletzt auch in Charlottesville.

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