Sachlicher Umgang mit Nazis: Ins Gefängnis stecken
Leo Fischer über den unaufgeregten, gepflegten Umgang mit Rechtsradikalen in Sachsen
»Unite the Right« - unter diesem Motto waren Nazis, Ku-Klux-Klan und andere Rassisten in Charlottesville zusammengekommen, um die Herrschaft des weißen Mannes über den Planeten zu verteidigen: bedrohliche Gestalten in Fantasieuniformen, die nicht nur Fackeln und Hakenkreuzfahnen, sondern teils auch schwere Militärwaffen mit sich führten.
In Deutschland kann so etwas Gott sei Dank nicht passieren - hier findet »Unite the Right« noch im stillen Kämmerlein statt, bei gemütlichen Treffen im Ratskeller, beim diskreten Handschlag zwischen Polizei und Nazi-Demonstranten in Themar oder eben auf Facebook. Über den Facebook-Messenger hat ein Bautzener Vize-Landrat von der CDU Kontakt zu einem Kreisvorstand der NPD aufgenommen und sich mit ihm zum Klönen verabredet, so der MDR. »Er kam direkt auf mich zu und suchte das Gespräch«, behauptete Udo Witschas über sein Treffen mit dem NPD-Mann Marco Wruck. »Dieses verlief sachlich, und für sachliche Debatten bin ich immer bereit und werde niemanden ablehnen.« Eine Lüge, wie der MDR weiß: Witschas habe von sich aus den Kontakt bereitet und dem NPDler sogar vertrauliche Behördeninformationen versprochen. Ähnlich sachliche Gespräche hatten bereits Oberbürgermeister Alexander Ahrens und Landrat Michael Harig geführt.
Der Hass der Deutschen auf alles, was schwierig, kontrovers oder anders ist, führt letztlich zu der verrückten Konsequenz, dass noch das größte Verbrechen legitimiert werden kann damit, dass alles in einem sachlichen, unaufgeregten Rahmen stattgefunden hat. Nichts Schlimmes kann geschehen, so lange alle sich gepflegt austauschen und keiner laut wird. Was Jürgen Habermas in der »Theorie des kommunikativen Handelns«, schon einigermaßen irr, als eine Art Herstellung der gerechten Weltordnung durch höfliches Zuhören und Ausredenlassen darstellte, wird in der vollendeten Postdemokratie, die der CDU-Staat Sachsen inzwischen darstellt, endgültig zur Farce. Die Nazis sollten doch erst mal ihre Argumente vorbringen, dann werde die Öffentlichkeit sie schon vernünftig erwägen und deren Widersinnigkeit erkennen, so die dahinterstehende Ideologie.
Der einzig sachliche Umgang mit Nazis ist nach wie vor, sie ins Gefängnis zu stecken. Ihnen Gespräche anzubieten, sie gar in eine gemeinsame Pressestrategie einzubinden, sorgt nicht für ihre Beruhigung oder Verbürgerlichung. Keine bürgerliche Demokratie kann die Versprechen aufwiegen, die der Nationalsozialismus den Leuten macht; kein noch so schlaues Gegenargument kann dem tobenden Irrsinn eines Sportpalasts Einhalt gebieten. Wenn der CDU-Landrat vom »Versuch einer Deeskalation« spricht, meint er, ob wissentlich oder nicht, eigentlich nur, dass er gerne etwas von diesem Toben mitnehmen möchte, dass ein paar von der NPD zur CDU gesprungene Wähler ihm letztlich ganz gut in den Kram passen würden. »Ja, dies wird für Wirbel sorgen. Damit kann ich leben«, schrieb sein Vize dem NPD-Mann im Chat, als es um das Treffen ging. Denn es ist ja letztlich nur Pressearbeit, und wenn die NPD und ihre glatzerte Klientel in Sachsen schon das Straßenbild bestimmen, dann muss natürlich auch eine CDU auf diese veränderte Lebensrealität eingehen. Dazu sind bürgerliche Parteien da: liebe Grüße an die Wirklichkeit auszurichten und dem Bestehenden auf die Schulter zu klopfen. Fern sei ihnen der Gedanke, dass sie diese Realität je mitprägten!
Unter anderem hatte Vize-Landrat Witschas über den Behördenumgang mit dem Flüchtling »King Abode« geplaudert - dessen Schicksal für ihn nicht mehr ist als die Gelegenheit, für »Wirbel« zu sorgen. Diese Art von Sachlichkeit, die niemals ohne den Wirbel und den Wahn auskommt, den sie in sich trägt, ist exakt jene, welche die kühl kalkulierenden Bürgerlichen in den 20ern den Nazis in die Arme trug. Sie dachten, sie einzuspannen, in die Ecke zu drängen und bedarfsweise unschädlich zu machen - immerhin brauchte man sie im Kampf gegen den Kommunismus. Zusammen mit dem deutschen Kommunismus hat man dann auch gleich die stets sachlich auftretenden Bürgerlichen mitentsorgt.
Die Konsequenzen aus dem Skandal werden absehbarerweise ausgesprochen sächsische sein: Der Vize-Landrat wird gehen oder versetzt, seine Vorgesetzten eine Weile die Presse meiden. Der sachliche Dialog in alle Richtungen wird selbstverständlich nicht abreißen. Auch wenn es der Dialog mit dem eigenen Untergang ist. Und im Fernsehen wird man wieder nur Nazis sehen, die in Amerika alberne Mützen tragen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.