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Barcelona: »Wir haben keine Angst!«

Nach einer beeindruckenden Gedenkzeremonie kehrt der touristische Alltag wieder ein

  • Ralf Hutter, Barcelona
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Massenmord hat die Hauptstadt der spanischen Region Katalonien erschüttert - aber trotz allgemeiner Urlaubszeit zeigte Barcelonas traditionell sehr aktive Zivilgesellschaft schon am folgenden Tag eine Trotzreaktion. Bürgermeisterin und Regionalpräsident riefen zu einer Schweigeminute um zwölf Uhr auf der Plaça de Catalunya, wo der Anschlag begonnen hatte. Tausende Menschen folgten, die meisten in schwarzer Trauerkleidung, und zogen danach die Ramblas hinunter. Dabei riefen viele von ihnen immer wieder: »No tinc por«, katalanisch für: »Ich habe keine Angst!« Oft klatschten sie auch einfach nur im selben Rhythmus. Das Todesfahrzeug war über 500 Meter weit gekommen, bis zur nächsten U-Bahn-Station Liceu. Man werde sich von »Feiglingen« nicht einschüchtern lassen und »weltoffen und solidarisch« bleiben, erklärte die Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, die ihre Tränen nicht zurückhalten konnte.

Wo der Attentäter sein Fahrzeug zurückgelassen hatte, befand sich am Freitagmittag schon eine mehr als sechs Quadratmeter große Ansammlung von Tee- und Grablichtern, Kuscheltieren, Botschaften und Ähnlichem. Die Bürger zeigen: Sie wollen sich vom islamistischen Terror nicht unterkriegen lassen. Die Menschen legen Schilder mit der Botschaft nieder: »Barcelona ist eine friedliche Stadt.«

Ansonsten erinnerte am Freitag im Zentrum Barcelonas fast nichts an die schrecklichen Ereignisse. Die touristischen Massen waren wieder da, und zwar nicht nur auf den Restaurantterrassen der Ramblas und in der Umgebung, sondern offensichtlich auch im Trauerzug. Das legt zumindest die Tatsache nahe, dass rund die Hälfte der dort mitgehenden Menschen das katalanische Motto nicht mitrief. Die Polizei erweckte ebenfalls nicht den Eindruck von Terroralarm. Der Plaça de Catalunya war zwar für den Verkehr gesperrt und am Einlass zum Innenbereich, wo die Schweigeminute abgehalten wurde, gab es Taschenkontrollen, die für lange Schlangen sorgten. Aber schon am wenige Hundert Meter entfernten Universitätsplatz beschränkte sich die Polizeipräsenz auf zwei Straßensperren Richtung Plaça de Catalunya. An den Ramblas standen ebenfalls nur vereinzelte Polizisten.

Am Vorabend hatte es ganz anders ausgesehen. Die Polizei hatte dazu aufgerufen, nicht auf die Straße zu gehen, und den Verkehr in weiten Teilen der Stadt gesperrt. Erst gegen Mitternacht durften die Leute aus der Sperrzone um die Ramblas herum wieder heraus und die Menschen, die dort wohnen, hinein - also sieben Stunden nach dem Attentat. Ebenfalls noch um Mitternacht rief ein katalanischer staatlicher Radiosender zum wiederholten Mal dazu auf, den auf einigen Ausfallstraßen in ihren Autos festsitzenden Menschen Wasser zu bringen. Vor allem die stundenlang in Tunnels Festgesetzten litten unter der Hitze.

Ein Radiokorrespondent berichtete am Abend, eine Bar, die er seit vielen Jahren kenne, habe er nun zum ersten Mal mit heruntergelassenen Jalousien gesehen. Das mag als symptomatisch für die Situation Barcelonas stehen. In Spanien ist es in Fernsehen und Radio üblich, politische Themen vor allem in Form von Gesprächsrunden zu behandeln, die überwiegend aus JournalistInnen und andere PublizistInnen bestehen. Ein Teilnehmer einer solchen Runde am Freitagvormittag in einem katalanischen Radiosender sagte, er sehe dieses Attentat als Kriegserklärung an und fühle sich nun unwohler in dieser Stadt. Daraufhin entgegnete ein anderer Teilnehmer, das »Postkarten-Barcelona« sei ein relativ junges Phänomen, und in dieser Stadt habe es früher viel Gewalt gegeben.

Barcelona hat seit den dortigen Olympischen Spielen 1992 einen riesigen Aufschwung erlebt, bedingt vor allem durch den Tourismus. Das Meer, das angenehme Klima, die historische Altstadt, die architektonischen Perlen - das Image könnte kaum besser sein. Mittlerweile ächzen aber weite Teile der Stadt unter dem in ungeahnte Höhen getriebenen Boom. Dass dem Anschlag kaum jemand aus Spanien zum Opfer fiel, liegt nicht daran, dass er im August geschah - auf den Ramblas sind die Einheimischen wahrscheinlich jeden Tag im Jahr in der Minderheit.

Neben dem bereits angelaufenen Kampf gegen das Übermaß an Tourismus muss nun aber ein ganz anderer, noch wichtigerer Kampf in Angriff genommen werden, und zwar in der ganzen Region. Fachleute vom Elcano-Institut, einer stiftungsfinanzierten politikwissenschaftlichen Forschungseinrichtung in Madrid, wiesen Ende Juni in einem wissenschaftlichen Aufsatz darauf hin, dass die Provinz Barcelona zwischen 2013 und 2016 die mit den meisten islamistisch Radikalisierten in ganz Spanien war. Der (an der Studie nicht beteiligte) Politikwissenschaftler Álvaro de Béthencourt nannte am Donnerstagabend im spanienweiten staatlichen Radiosender RNE 1 Katalonien einen der Hauptschauplätze der dschihadistischen Radikalisierung in Europa.

Unterstützung im Kampf dagegen hat die Islamische Union Spaniens sofort nach dem Attentat zugesichert. In Katalonien sind mehr als 500 000 der 7,5 Millionen EinwohnerInnen Muslime.

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