Ohne Plan B ins Schienenchaos

Im Rahmen der Sperrung der Rheintalstrecke kommen jahrzehntelange Versäumnisse zutage

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch nach einer Woche ist kein Ende der Sperrung der Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel in Sicht. Damit bleibt eine der am stärksten frequentierten Bahntrassen für den europäischen Güter- und Personenverkehr blockiert. Die Strecke gilt als Bestandteil des europäischen Güterkorridors Genua-Rotterdam. Auslöser waren Tunnelarbeiten für die neue Hochgeschwindigkeitstrasse Karlsruhe-Basel, in deren Folge die Gleise im südlich von Karlsruhe gelegenen Rastatt auf einer Länge von etwa acht Metern um einen halben Meter gesenkt wurden.

Dass Bahnstrecken immer wieder durch »höhere Gewalt« unpassierbar sind, kann nie ausgeschlossen werden. In aller Regel kann der Verkehr auf zumutbare Ersatzstrecken ausweichen, bis der Schaden behoben ist. Neu an dem folgenreichen Rastatter Vorfall ist aber, dass die Bahnmanager offenbar kalt erwischt wurden und keinen »Plan B« hatten. So legt die versuchte Krisenbewältigung schonungslos jahrzehntelange Sünden der Bahn- und Verkehrspolitik offen.

Für den Personenverkehr hatten die Krisenmanager der Deutschen Bahn (DB) rasch Notlösungen auf dem Schirm. Hochgeschwindigkeitszüge von Stuttgart nach Paris wurden über Saarbrücken umgeleitet. Für Fahrgäste besteht zwischen Rastatt und Baden-Baden immerhin ein zeitraubender Busersatzverkehr.

Die Folgen der Sperrung für den Güterverkehr wurden für die Öffentlichkeit erst nach Tagen deutlich. So entwickelte sich ein Rückstau von Zügen, DB-Zugbildungsanlagen quellen über. Der im Zeitalter von »Just-in-Time«-Anlieferungen dringend erwartete Nachschub für Industrie und Handel ist vielfach ins Stocken gekommen. Wirtschaftsverbände, Spediteure und Güterbahnen werden unruhig und ungeduldig. Das von DB-Managern angekündigte Umladen von Gütern auf Straße und Schiff ist zeitraubend und nicht per Knopfdruck zu bewerkstelligen. Internationale Züge werden zunehmend weiträumig etwa über Österreich oder Lothringen umgeleitet.

Während zwischen Karlsruhe und der niederländischen Grenze Züge an der gesamten »Rheinschiene« notfalls auf das andere Ufer ausweichen können, besteht diese Möglichkeit ausgerechnet am Oberrhein zwischen Basel und Karlsruhe faktisch nicht. Hier bildet der Rhein die Grenze zu Frankreich. Zwar gibt es auch im Elsass Bahnlinien und eine parallele Nord-Süd-Achse mit Verbindungen nach Deutschland und in die Schweiz. Doch der nördliche Abschnitt zwischen dem pfälzischen Wörth und Straßburg wurde bis zum Grenzbahnhof Lauterburg auf ein Gleis zurückgebaut. Eine direkte Kurve bei Wörth Richtung Karlsruhe wurde längst demontiert.

»Es fehlt eine durchgängige Elektrifizierung mit einem einheitlichen Stromsystem. Auch die Signaltechnik passt nicht zusammen, so dass nur Mehrsystemfahrzeuge, die nur in knapper Zahl vorhanden sind, eingesetzt werden können«, bringt es Gerhard Stolz vom Fahrgastverband Pro Bahn auf den Punkt. »Hätten wir in Europa eine ordentliche Verkehrspolitik gemacht, dann könnte über das Elsass umgeleitet werden. Aber da man fast nur den Autoverkehr im Blick hat, fällt diese Möglichkeit weg.«

Doch nicht nur bei der französischen Bahngesellschaft SNCF wurde der regionale Netzausbau sträflichst vernachlässigt. So fallen jahrzehntelange Versäumnisse von Politik und Bahnmanagement im Autoland Baden-Württemberg den Verantwortlichen auf die Füße. Dort sind viele überregionale Bahnstrecken wie die »Hochrheinbahn« von Basel nach Singen nicht elektrifiziert. Die wichtige »Gäubahn« von Singen nach Stuttgart ist teilweise nur eingleisig und derzeit durch Gleisarbeiten blockiert. Dieselloks und Lokführer mit Streckenkenntnis für nicht elektrifizierte Trassen sind knapp. In der nahen Schweiz löst all dies nur Kopfschütteln aus.

Gegner des umstrittenen milliardenschweren Bahnhofs- und Immobilienprojekts »Stuttgart 21«, das viele Kapazitäten bindet, sehen sich durch das Desaster von Rastatt in ihrer Kritik bestätigt. »Keinen Pfifferling wert« seien die vollmundigen Beteuerungen der DB, sie habe die Tunnelbauarbeiten mitten im Stadtgebiet Stuttgarts technisch voll im Griff. Angesichts der besonderen geologischen Situation mit quellfähigem Gipskeuper müsse in Stuttgart mit Bauproblemen ganz anderer Größenordnung gerechnet werden, so die Warnung der Projektkritiker.

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