Klares Zeichen gegen Verherrlichung des Nationalsozialismus
Rechtsextremer Heß-Aufmarsch in Spandau wurde von Antifaschisten blockiert / Kritik am Vorgehen der Polizei bei Protesten
Die Reden sind kaum verständlich. Der Gegenprotest ist deutlich lauter. Einige Hundert Neonazis stecken an diesem Samstagmorgen noch in Falkensee fest, da durch Brandanschläge auf Gleisanlagen der Zugverkehr nach Berlin stark beeinträchtig ist. Die Rechtsextremisten, die es nach Spandau geschafft haben, sehen unterdessen nicht glücklich aus. Als die rund 800 Neonazis gegen halb vier wieder am Bahnhof in Spandau ankommen, steht bereits fest, dass der antifaschistische Protest gegen den Rudolf-Heß-Marsch erfolgreich war. Die Neonazis konnten nur wenige Hundert Meter laufen und mussten dann, aufgrund von mehreren Blockaden, umkehren. Wieder am Bahnhof angekommen, wurden sie gegen 17 Uhr mit »Haut ab« und »Nazis raus«-Rufen verabschiedet.
Vereinzelt wurden Blockaden der Nazi-Route von der Polizei geräumt, die mit 1000 Beamten vor Ort war. Antirechts-Aktivisten kritisieren auf dem Kurznachrichtendienst Twitter den Einsatz: »Die Blockade wird mit rücksichtsloser Gewalt geräumt«, erklärt eine Antifagruppe. Großen Unmut erzeugt auch die Kontrolle eines Fahrradkorsos gegen den rechten Marsch. Die kleine Gruppe mit etwa 35 Fahrradfahrern wird in Charlottenburg am Luisenplatz für zwei Stunden festgesetzt, berichtet eine Teilnehmerin, die vor Ort war. Wegen eines angeblichen Angriffs auf eine Person der Alternative für Deutschland wurden alle Personalien aufgenommen. Nach der erkennungsdienstlichen Maßnahme durften die Teilnehmer hinter einem Polizeiwagen Richtung Spandau weiterfahren. Dort versammelten sich am Morgen rund 2000 Menschen, um vom Bahnhof zu der Kundgebung am ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis zu ziehen. Im Vorfeld kritisierten die Veranstalter, die Vereinigung der Verfolgen des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), die Auflagen der Polizei für die Demonstration. Diese werden vor Ort durchgesetzt: Der Zug darf nicht bis an die Kundgebung herangehen, sondern muss wenige Meter vorher enden. Wer die Reden auf der Kundgebung hören will, muss einen Umweg durch eine Kleingartensiedlung gehen.
Dennoch kommen viele zum Protest. »Dafür, dass es erst 11 Uhr ist, sind schon ganz schön viele da«, sagt Markus Tervooren von der VVN-BdA. Der Demonstrationszug ist bunt gemischt. SPD-Fahnen und Europafahne wehen gleich neben einer roten Fahne mit Hammer und Sichel. Die breite Mischung von Parteien wie SPD, LINKE und Grünen sowie Gewerkschaften, Kirchen und linksradikalen Gruppen gefällt vielen Teilnehmern. Eine ältere Dame findet es toll, dass junge und alte Menschen mit verschiedener Meinung gegen die Neonazis demonstrieren. »Ich möchte Gesicht zeigen«, sagt sie. In der Spandauer Altstadt läuten an diesem Morgen sogar Kirchenglocken gegen den Aufmarsch. Als die Demonstration fast den Endpunkt erreicht hat, wird es noch erneut laut. Aus den Fenstern der Unterkunft für Geflüchtete in der Schmidt-Knobelsdorf-Straße winken Menschen und werden mit »Refugees Welcome« Sprechchören gegrüßt.
Auf der Kundgebung vor dem Einkaufszentrum, wo früher einmal das Kriegsverbrechergefängnis stand, in dem sich Rudolf Heß 1987 das Leben nahm, wird dann vor einer fast leeren Kulisse demonstriert. Die Neonazis werden an dieser Stelle nicht mehr vorbeikommen. »Wenn es um Bürgerrechte und Demokratie geht, müssen wir sie gemeinsam verteidigen«, sagt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (LINKE). Sie macht auf einen weiteren rechten Aufmarsch Anfang September in Hellersdorf aufmerksam. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast kündigt derweil an, den teils ruppigen Polizeieinsatz in Spandau im Nachhinein prüfen zu lassen. Eine Freundin von ihr sei nicht zu der Gegendemonstration gelassen worden aufgrund ihrer bunten Haarfarbe. »Das ist nicht alles rechtmäßig«, sagt Künast.
Die im brandenburgischen Falkensee ausgestiegenen Neonazis zeigen unterdessen, wie gewaltbereit sie sind: Sie zerstören die Scheiben eines Büros der Grünen.
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