Zerreißprobe, ganz wörtlich

Vor zehn Jahren bohrte man im badischen Staufen nach Erdwärme - massive Schäden bis heute sind die Folge

  • Jürgen Ruf
  • Lesedauer: 4 Min.

Staufen. Die Suche nach umweltfreundlicher Energie bringt eine Kleinstadt ins Wanken - seit nunmehr einem Jahrzehnt. Der Grund sind missglückte Geothermiebohrungen im September 2007. Seither hebt sich der Boden, Gebäude bekommen Risse. Nach zehn Jahren ist das Problem noch ungelöst. Mit den Rissen, sagen die Betroffenen, werde Staufen und seine historische, denkmalgeschützte Altstadt noch lange leben müssen. Nun soll verstärkt saniert werden.

»Wir sind seit zehn Jahren im Krisenmodus. Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe.« Michael Benitz ist der Bürgermeister der 8100 Einwohner zählenden Gemeinde am Rande des Schwarzwalds. Risse durchziehen sein Rathaus - auch gut zu sehen an der Außenfassade. Ein überdimensionales rotes Transparent hängt daran. »Staufen darf nicht zerbrechen«, steht darauf. Das ist in dieser Stadt ganz wörtlich gemeint.

Im Hof direkt hinter dem Gebäude wurde im September vor zehn Jahren nach Erdwärme gebohrt. Die Geothermie galt damals als ein Hoffnungsträger unter den umweltfreundlichen Energien. Eine neue Heizung für das Rathaus sollte mit ihr betrieben werden. Doch dann trafen die Bohrsonden im Untergrund auf eine Erdschicht, die Staufen bis heute keine Ruhe lässt.

»In Verbindung mit Grundwasser verwandelt sich diese Erdschicht in Gips, die Schichten quellen auf drücken die Erde nach oben. Der Untergrund hebt und verschiebt sich«, erklärt Benitz. Die Bilanz nach zehn Jahren: »An manchen Stellen hat sich Staufen 62 Zentimeter nach oben und seitlich bis zu 45 Zentimeter bewegt.« Die Statik der Häuser macht das nicht mit. »Es gibt Häuser, die werden auseinandergezogen und förmlich zerrissen«, sagt Benitz. Die Folge seien Risse an und in den Gebäuden sowie die Gefahr, dass Häuser einstürzten.

Mehr als 270 Gebäude sind den Angaben zufolge beschädigt, zwei Häuser mussten abgerissen werden. Der Schaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Genau beziffern lässt er sich nicht. Denn es werden immer wieder neue Schäden gemeldet - auch wenn sich die Zahl der betroffenen Häuser zuletzt nicht mehr erhöht hat.

»Risse sind zu unseren täglichen Begleitern geworden«, erzählt Csaba-Peter Gaspar. Der Unternehmensberater hat in seiner Wohnung in der Altstadt nach eigenen Angaben große Schäden, Mauern werden instabil. Die Hauseigentümer haben auf Klagen und Gerichtsprozesse bislang verzichtet. Sie können sich, sagt Gaspar, an eine Schlichtungsstelle wenden, die sich um das Finanzielle kümmert. Mehr als 400 Schlichtungsverfahren hat es bislang gegeben.

Staufen ist mit dem Problem nicht allein, weiß das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg. Auch in Böblingen und in Rudersberg führten Geothermiebohrungen zu Schäden. Im nahen Elsass, in dem 450-Einwohner-Dorf Lochwiller bei Straßburg, hebt sich die Erde ebenfalls. Risse im Boden, im Asphalt und an vielen Gebäuden sind die Folge. In Basel kam es wegen Geothermie zu Erdbeben. In die Schlagzeilen kam aber vor allem das überregional bekannte und touristische Staufen - und wurde so zum Symbol für missglückte Erdwärmebohrungen.

Für die bis dahin aufstrebende Geothermiebranche brachte Staufen Unsicherheit und einen Imageschaden, bestätigt der Bundesverband Geothermie mit Sitz in Berlin. Gestiegen sei der Aufklärungsbedarf. Aber: »Bei einer ordnungsgemäßen Ausführung der Bohrungen sind derartige Schäden ausgeschlossen«, sagt ein Sprecher des Verbandes. Geothermie bleibe, wenn richtig gebohrt werde, eine sinnvolle und umweltfreundliche Energiequelle.

In Staufen hebt sich die Erde weiter. Seit große Pumpen rund um die Uhr Grundwasser aus dem Boden holen und so die Gipsbildung bremsen, wird es aber besser, sagt der Bürgermeister. Ging die Stadt anfangs noch monatlich zentimeterweise in die Höhe, seien es zuletzt lediglich 1,8 Millimeter im Monat gewesen. Wie lange noch gepumpt werden müsse, könne jedoch niemand sagen. »Ich gehe aber davon aus, dass wir mit dem Problem noch viele Jahre, vermutlich eher Jahrzehnte zu kämpfen haben werden«, so Bürgermeister Benitz.

Weil es mehr Klarheit bei den Finanzen gebe, soll nun verstärkt die Sanierung der Häuser angegangen werden. Geld kommt von der Stadt, dem Land und den Kommunen in Baden-Württemberg, die sich mit Staufen solidarisch zeigen und finanziell unterstützen. Zudem gab es einen außergerichtlichen Vergleich mit den beteiligten Bohrfirmen. Die Stadt hat, zehn Jahre nach den Bohrungen, von den Firmen 1,175 Millionen Euro erhalten. Dafür verzichtet sie im Gegenzug auf alle weiteren Forderungen. dpa/nd

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