Atomwaffen: Schulz wird Wahlkampfmanöver vorgeworfen
»Unglaubwürdig«, »Marktplatzpolemik«: Viel Kritik an SPD-Forderung nach Abzug der US-Raketen / Friedensbewegung freut sich
Berlin. SPD-Chef Martin Schulz spricht sich für einen Abzug der in der Bundesrepublik stationierten US-Atomwaffen aus. Der Vorstoß stößt fast überall auf mehr oder weniger Kritik – allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen: den einen kommt er zu sehr als Wahlkampfmanöver daher, den anderen geht er politisch gegen den Strich.
»Die Vorschläge, die Martin Schulz zur Abrüstung nun in den Wahlkampf einbringt, liegen seit Jahren auf dem Tisch«, so reagierte zum Beispiel Linksfraktionschef Dietmar Bartsch auf den Vorstoß des Sozialdemokraten. Entsprechende Anträge der Linksfraktion habe die SPD nie unterstützt. Deshalb sei der Vorstoß von Schulz »unglaubwürdig«. Ähnlich äußerten sich andere Mitglieder der Partei.
Der frühere Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte, »Deutschland müsste offensiv auf den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen von deutschem Boden drängen«. Ein solches notwendiges Signal gegenüber der US-Regierung seien aber von einer Regierung unter Angela Merkel »gleich in welcher Konstellation nicht zu erwarten«.
Auch die Grünen witterten eher einen Wahlkampfschachzug von Schulz. Die Idee sei zwar gut, so Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt – sie warf der SPD aber zugleich vor, sie habe bislang jegliches Engagement für ein atomwaffenfreies Deutschland vermissen lassen. Schon 2010 habe es einen auch von Union, SPD, FDP und Grünen unterstützten Bundestagsbeschluss gegeben, in dem sich das Parlament mit breiter Mehrheit für einen Abzug der US-Atomwaffen eingesetzt hatte. Hintergrund war damals eine Initiative von US-Präsident Barack Obama für atomare Abrüstung gewesen. Außer den Grünen habe sich jedoch keine der beteiligten Parteien im Anschluss an diesen Beschluss gebunden gefühlt. Die Linkspartei war 2010 in die Beratungen nicht eingebunden worden und hatte daraufhin einen eigenen Antrag vorgelegt.
Schulz hatte am Dienstag bei einem Wahlkampfauftritt im rheinland-pfälzischen Trier gesagt: »Ich werde mich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dafür einsetzen, dass in Deutschland gelagerte Atomwaffen aus unserem Lande abgezogen werden.« Es wird angenommen, dass sich bis zu 20 Atombomben der USA auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel befinden.
Die deutschen Ableger der Anti-Atomwaffen-Bewegung ICAN und der Ärzte-Friedensorganisation IPPNW begrüßten die Forderung von Schulz noch am deutlichsten. »Endlich räumt ein Spitzenkandidat dem Thema Atomwaffen im Wahlkampf den Platz ein, den es in diesen Zeiten verdient«, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. »Damit unterstützt Schulz eine Forderung, für die die Friedensbewegung seit Jahren kämpft.«
Dagegen wurde in der Union schroffe Ablehnung laut. »Sicherheitspolitik ist ein sehr komplexes Thema, das sich nicht für Marktplatzpolemik eignet«, erklärte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt. »Der Kanzlerkandidat der SPD wäre gut beraten, Deutschlands Einbindung in die internationale Sicherheitsarchitektur nicht um der Effekthascherei Willen in Frage zu stellen«, so Hardt, der auch Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen ist. Langfristig bekannte sich der CDU-Außenpolitiker zu dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt. Dazu müsse aber erst das »geeignete sicherheitspolitische Umfeld« geschaffen werden.
Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff kritisierte die Äußerungen des SPD-Kanzlerkandidaten als »reines Wahlkampfgetöse«. Schulz widerspreche damit direkt dem Standpunkt der Bundesregierung, den SPD-Außenminister Sigmar Gabriel mittrage, sagte Lambsdorff. Noch im Juli habe Gabriel ein Verbot von Atomwaffen bei einer UN-Abstimmung mit der Begründung abgelehnt, dass nationale Alleingänge ohne die Einbeziehung der Atommächte keinen Erfolg versprechen würden.
Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer reagierte zurückhaltend auf die Schulz-Forderung und verwies auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Dort heißt es wörtlich: »Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen.«
In ihrem Wahlprogramm versprechen die Sozialdemokraten, »entschlossen für die weltweite vertragsgestützte Abrüstung von Atomwaffen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen sowie konventioneller Rüstung« einzutreten. Eine Welt ohne Atom- und Massenvernichtungswaffen bleibe ihr Ziel. Zu den in der Bundesrepublik stationierten Kernwaffen heißt es, die SPD wolle sich »nachdrücklich« dafür einsetzen, »dass im Rahmen eines gesamteuropäischen Abrüstungsvertrags die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa abgezogen werden«. Agenturen/nd
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