Kleine Züge für den großen Bedarf
Die BVG plant eine Notbestellung neuer U-Bahnwagen ohne Ausschreibung
Die Wagennot bei der Berliner U-Bahn ist groß. Täglich fallen Züge aus oder fahren mit weniger Wagen als vorgesehen, weil der alternde Fuhrpark immer länger in der Werkstatt steht. Nun wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit einer sogenannten Dringlichkeitsbeschaffung vergleichsweise schnell an Ersatz kommen. 20 Vier-Wagen-Züge der Baureihe Ik sollen nach dem Willen des BVG-Vorstands bestellt werden, berichtet der »Tagesspiegel«. Sie sollen auf der U5 fahren.
»Es hat sich herausgestellt, dass bei einem Teil der Altbaufahrzeuge der Baureihe F79 die Schäden erheblich größer sind, als im Vorfeld absehbar gewesen ist«, begründet BVG-Sprecher Markus Falkner den Beschluss. Die 1979 vorgestellte Serie aus 35 Zwei-Wagen-Zügen wird derzeit von Grund auf saniert, um sie weiterhin einsetzen zu können. Dabei zeigten sich große Schäden an den Wagenkästen aus Aluminium. Im Gegensatz zu Stahl ist Aluminium irgendwann nicht mehr wirtschaftlich zu reparieren. Der Zustand einer Einheit war so schlecht, dass die Aufarbeitung abgebrochen wurde. »Selbst die überarbeiteten Wagen werden maximal noch zehn Jahre halten«, erklärt ein Werkstattmitarbeiter der BVG, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Das sei allerdings so überraschend nicht, schließlich wurden die Züge damals nur auf eine 35-jährige Lebensdauer ausgelegt.
Von vornherein als irreparabel angesehen werden die 120 Doppeltriebwagen der Nachfolgebaureihe F84. »Mit denen haben wir erhebliche Probleme, nicht nur bei den Wagenkästen, sondern auch bei den Drehgestellen«, erklärt der U-Bahn-Experte. Damals begann man auch dort mit dem material- und energiesparenden Leichtbau, der allerdings auch auf Kosten der Haltbarkeit geht.
Vom zerbröselnden Wagenpark sind vor allem die sogenannten Großprofillinien U5 bis U9 betroffen. Dort sind die Tunnel etwas größer und die Züge 30 Zentimeter breiter als bei U1 bis U4.
Erst im Juli hatte die BVG einen angepassten Zug der Baureihe Ik am Bahnhof Biesdorf-Süd vorgestellt. Mit Ausgleichsprofilen an der Seite und weiteren Anpassungen kann der eigentlich für das Kleinprofil entwickelte Typ auch auf der U5 fahren. Weil nur auf dieser Linie die Bahnsteige etwas länger sind, können nur dort die Acht-Wagen-Züge der angepassten Serie fahren. Damit wären auf der Strecke nach Hönow in einigen Jahren nur noch schmalere Wagen unterwegs. Im Vergleich zu Großprofilzügen fassen diese aber 90 Fahrgäste weniger - ein Kapazitätsverlust von über zwölf Prozent.
»Seit acht Jahren wurde gepennt. Nun wachen die Verantwortlichen auf«, sagt Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. Über die Notmaßnahme ist er trotzdem froh.
Wenn es zu einer Bestellung kommt, könnten die ersten Züge ab Mitte 2019 ausgeliefert werden. Bis dahin läuft die Produktion der bereits beim Berliner Hersteller Stadler Pankow georderten Wagen. Im Oktober entscheidet der BVG-Aufsichtsrat endgültig.
Momentan läuft auch das Ausschreibungsverfahren für eine mehrere Hundert Wagen umfassende Beschaffung für U- und Straßenbahnnetz. Nach nd-Informationen könnte es aber noch bis Mitte 2018 dauern, bis der Auftrag erteilt wird. Ursprünglich war der Herbst dieses Jahres das Ziel. Nicht vor Mitte 2020 werden dann zumindest Prototypen von richtigen Großprofilzügen auf den Gleisen stehen. Es kommen kuschlige Jahre auf die U5-Nutzer zu.
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