Abgesoffen an der Kaimauer
Zehn Jahre Finanzkrise: Pleite der Sachsen LB kostete den Freistaat bisher 1,54 Milliarden Euro
Die Meldungen kommen mit unschöner Regelmäßigkeit: Am 3. Juli teilte das sächsische Finanzministerium mit, man habe 18,6 Millionen Euro gezahlt, um für Risiken der Sachsen LB aufzukommen. Vergleichbare Überweisungen werden jedes Vierteljahr vermeldet. Insgesamt 1,54 Milliarden Euro hat Sachsens Steuerzahler ein finanzpolitisches Abenteuer bisher gekostet, das vor zehn Jahren in eine dramatische Verhandlungsnacht mündete - und im Notverkauf der Bank, an dem das Land noch heute zu knabbern hat.
Sachsen war im Sommer 2007 das einzige ostdeutsche Bundesland, das sich eine eigenständige Landesbank leistete. Auf Betreiben von Finanzminister Georg Milbradt war sie 1991 gegründet worden und hatte zunächst Kredite für sächsische Unternehmen bereitstellen sollen. Das Geldhaus erledigte seinen Auftrag passabel, warf aber kaum Erträge ab. 2001 beschloss der Vorstand einen radikalen Kurswechsel. Die Sachsen LB engagierte sich nun auf dem Kapitalmarkt; Vorstände und Eigentümer träumten von zweistelligen Renditen. 2005 hatten die Geschäfte unter anderem mit US-Immobilienkrediten, die zumeist über eine Tochter in Irland abgewickelt und für die Zweckgesellschaften mit Namen wie Ormond Quay (benannt nach einer Nobelgegend an den Kais von Dublin) gegründet wurden, ein Volumen von satten 41 Milliarden Euro.
Ein paar Jahre mischte man im großen Geschäft mit. Die Bank geriet zwar in die Schlagzeilen, aber eher durch Peinlichkeiten als durch finanzielle Misserfolge: Mitarbeiter fühlten sich bespitzelt; Vorstände sollen sich königliche Vergünstigungen geleistet haben. Brisanter war der Vorwurf, die Bank habe ein Dokument umdatiert und Urkundenfälschung betrieben. Staatsanwälte durchsuchten Büros; der Landtag setzte einen Untersuchungsausschuss ein.
Im Sommer 2007 indes fiel die Bank wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hatte es noch am 10. August geheißen, es gebe keine Liquiditätsprobleme, mussten zwei Wochen später die Sparkassen 17,3 Milliarden Euro bereitstellen. Doch das reichte nicht: Als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen mit der Schließung drohte, gelang es am 26. August der Landesregierung unter dem inzwischen Ministerpräsident gewordenen Milbradt quasi in letzter Minute, das Geldhaus an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zu verkaufen.
Der Verkauf sei »das Gescheiteste« gewesen, was Milbradt in der Angelegenheit gelungen sei, sagt der Linkspolitiker Klaus Tischendorf, einst Obmann im Untersuchungsausschuss und heute Chef des Finanzausschusses im Landtag. Anderenfalls hätten Freistaat und Sparkassen für Summen haften müssen, die das Volumen des Landeshaushaltes weit überstiegen. Allerdings musste Sachsen Ende 2007 Haftungsrisiken von 2,75 Milliarden Euro bis 2019 übernehmen. Bisher ist gut die Hälfte gezahlt. »Ich bin überzeugt, dass die Summe in vollem Umfang fällig wird«, sagt Tischendorf - und merkt an, weitere Verluste müssten dann aus dem Landeshaushalt von Baden-Württemberg gedeckt werden: »Das wird dort noch für Unmut sorgen.«
2,75 Milliarden Euro sind auch für ein Land wie Sachsen, das sich stets mit seinem soliden Etat brüstet, viel: »670 Euro pro Bürger«, sagt Tischendorf, »damit hätte man eine Menge sinnvoller Dinge finanzieren können.« Der Ausschusschef bedauert nicht nur die Löcher, die das Bankendebakel in den Landeshaushalt gerissen hat; ihn ärgert vor allem, dass niemand für die Beinahepleite zur Rechenschaft gezogen wurde: »So schürt man Politikverdrossenheit.«
Tatsächlich hat der Fall zwar bis 2016 sächsische Gerichte beschäftigt; mehrere Vorstände wurden wegen Untreue oder Bilanzfälschung angeklagt. Alle Verfahren wurden aber gegen Geldauflagen von 25 000 bis 80 000 Euro eingestellt; ein Prozess gegen drei Aufsichtsräte war wegen eines Formfehlers geplatzt. Verurteilt wurde kein Verantwortlicher. Auf Regressforderungen gegen damals politisch Verantwortliche verzichtete der Freistaat 2014 aus Kostengründen; zu dem Zeitpunkt hatte man schon viele Millionen für Prozesse ausgegeben.
Politische Verantwortung für das kostspielige Debakel hat nie jemand übernommen. Zwar trat nach Finanzminister Horst Metz im Mai 2008 auch Ministerpräsident Milbradt zurück; er führte aber Altersgründe an. Aus beider Partei, der CDU, war nie ein Wort der Reue zu vernehmen. »Ich hätte mir gewünscht, dass man einen Fehler einräumt«, sagt Tischendorf, »aber man setzt auf die Vergesslichkeit der Bürger«. Der Linksabgeordnete regt ein Symposium an, bei dem die Vorgänge aufgearbeitet werden. Es dürfte ein frommer Wunsch bleiben.
Die Erinnerung an die Sachsen LB wird derweil nicht nur von den regelmäßigen Forderungen aus Baden-Württemberg wach gehalten, sondern auch vom Namen eines Geldhauses, das Filialen in Dresden, Erfurt, Magdeburg und drei weiteren Städten betreibt: Die Sachsen Bank, ein eher kleines Haus unter dem Dach der LBBW, erledigt mit 110 Mitarbeitern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen das, was einst auch der Job der Sachsen LB war: Kredite für mittelständische Firmen auszahlen, Risikokapital gewähren, Privatkunden betreuen. Sie ist damit Konkurrenz für die Sparkassen in der Region. Wie gut die Geschäfte laufen, ist unklar: Die Bank sei Teil des Konzerns, sagt eine Sprecherin. Eigene Geschäftszahlen gebe es nicht. Die LBBW selbst erwirtschaftete 2016 einen Gewinn von elf Millionen Euro - 97 Prozent weniger als im Jahr davor.
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