König Fußballs neue Kleider
Christoph Ruf meint, dass das ganze Getöse um Transfers und Moral erfolgreich von der großen Öde auf dem Platz ablenkt
Der Sommer 2017 wird in die Geschichte des Fußballs eingehen, das steht schon mal fest. 222 Millionen Euro für Spieler N, der von A nach B wechselt, etwa 140 infolgedessen für den Spieler D, der von C nach A wechselt, um N zu ersetzen.
Bislang galten Verteidiger als die Schnäppchenspieler der Branche. Zu unspektakulär ihr Spiel, als dass Rekordablösesummen zu erwarten gewesen wären. Auch das ist seit diesem Sommer passé. Kyle Walker tauschte für etwa 60 Millionen Euro das Trikot von Tottenham mit dem von Manchester City. Was den scharfzüngigen Alt-Internationalen Gary Lineker zu einem schönen Kommentar veranlasste: »Kyle Walker wird der weltweit teuerste Verteidiger. Stellen Sie sich vor, wie viel er kosten würde, wenn er noch flanken könnte.«
Alles etwas verrückt also. So wird es aber weitergehen, schließlich ist es die einhellige Einschätzung der Branche, dass es von nun an weitere »Rekordtransfers« regnen wird, weil immer mehr Geld in die europäischen Topligen fließt.
Nun kann man sich fragen, ob es ein Zufall ist, dass gerade in diesem Sommer auch eine Moraldebatte aufbricht, die immer auch wieder die Mechanismen des durchkapitalisierten Profisports in Frage stellt – so richtig vehement aber immer erst dann wird, wenn es um die Verästelungen im Kleinen geht. Um das unwürdige Theater beispielsweise, das Ousmane Dembélé vollführte, womit er den besagten 140-Millionen-Transfer erpresst hatte ... der ganz nebenbei das arme Erpressungsopfer BVB steinreich gemacht hat. Oder Westentaschensöldner wie Abdelhamid Sabiri, der in Nürnberg schon auf dicke Hose machte, als er sein erstes Zweitligaspiel ohne größere Unfälle absolviert hatte und seinen geplanten Wechsel zum englischen Erstligaaufsteiger nach Huddersfield via Facebook orchestrierte. Auch das wurde am Sonnabend in Aue von den Nürnberger Ultras kommentiert. Nicht wütend, eher lakonisch.
An Spielern wie Sabiri kann man als Zuschauer keine Freude haben. Die meisten Fans wissen, dass fast alle Fußballer ähnlich ticken wie der Marokkaner. Sie gehen längst aus anderen Gründen zum Fußball (aus welchen eigentlich?) und weigern sich, ihre Trikots mit Namen von Spielern beflocken zu lassen, die drei Monate später beim Erzrivalen angeheuert haben.
Noch höher schlagen die Wellen der Empörung, wenn es auf dem Platz zu Szenen kommt wie am Freitag in Köln. Hamburgs Kyrgiakos Papdopoulos sank da wie vom Blitz niedergestreckt auf den Boden, nachdem der Kölner Cordoba an ihm vorbeigelaufen war. Wer den baumlangen und breiten Verteidiger des HSV da mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden liegen sah, musste davon ausgehen, dass er kurz vorm Exitus war und allenfalls durch den sofortigen Einsatz der Herz-Lungen-Maschine gerettet werden könnte. In Wahrheit war er nicht einmal berührt worden, was der Videoschiedsrichter dankenswerterweise nachwies. Wenn es Papadopoulos, den man bis dahin eigentlich für einen relativ sympathischen Menschen gehalten hatte, in den kommenden Spielen nun so geht, wie es in der vergangenen Saison Leipzigs Timo Werner gegangen ist – wenn er also in allen Stadien gnadenlos ausgepfiffen wird –, wäre das nur zu gut zu verstehen.
Und es wäre vielleicht das einzige Mittel, das Spielern von dieser Strickart Benimm eintrichtern könnte. Denn was sie tun, ist ja letztlich nur folgerichtig in einer Profiwelt, in der naturgemäß derjenige Recht hat, der drei Punkte einfährt. Appelle an Fairplay wirken fast schon rührend naiv, weil am Ende der Saison eben ein ergaunertes Tor mehr oder weniger (oder im Fall Papadopoulos: eine ergaunerte Rote Karte für den Gegner, der deshalb das Spiel verliert) über Hunderttausende Euro entscheiden kann. Fraglich, ob es eine Währung gibt, die dagegen bestehen kann. Wenn, dann ist es der rasante Imageverlust, der sich in den Shitstorms im Netz und in den Pfeifkonzerten im Stadion niederschlägt.
Aber kann es sein, dass die Debatte über Dembélé und Papadopoulos auch deswegen so vehement geführt wird, weil das sportliche Geschehen so dermaßen vorhersehbar ist? Oder gab es am Wochenende ein Ergebnis, das man mit Überraschung zur Kenntnis genommen hätte? Letztlich nützen alle empörten Debatten über Fairplay also sogar dem Produkt Fußball-Bundesliga. Vielleicht würden wir ohne das Getöse hinter den Kulissen ja sonst merken, dass auf der eigentlichen Bühne nichts Spannendes mehr aufgeführt wird.
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