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G20: Erhebliches Aufklärungsinteresse, offene Antworten

Linksfraktion kritisiert Einigung auf Sonderausschuss in Hamburgischen Bürgerschaft / Prozessbeginn gegen zwei Demonstranten

  • Elisabeth Heinze
  • Lesedauer: 3 Min.

Sieben Wochen sind seit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangen, die Aufarbeitung der Ausschreitungen und der Polizeieinsätze steht aber immer noch am Anfang – zumindest auf parlamentarischer Ebene. An diesem Donnerstag soll ein Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Darauf hatten sich SPD, CDU, Grüne und FDP Ende vergangener Woche verständigt.

Einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird es damit vorerst nicht geben. Für einen solchen hatte sich in der Bürgerschaft bis zuletzt allen voran die Linkspartei ausgesprochen. Schließlich sei »der von den Regierungsfraktionen beschlossene Sonderausschuss ein stumpfes Schwert und für die Aufklärung des gesamten Geschehens nur sehr bedingt tauglich«, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christiane Schneider.

Verfahren nach dem G20-Gipfel

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat insgesamt 109 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Teilnehmer der Proteste eingeleitet und weitere 64 gegen Unbekannt. Zudem laufen 18 Verfahren mit G20-Bezug gegen Polizisten. Der Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am 7. und 8. Juli in Hamburg war von schweren Ausschreitungen überschattet worden. Im Zusammenhang mit den Krawallen hatte das Amtsgericht 51 Haftbefehle erlassen. Derzeit befinden sich nach Angaben von Oberstaatsanwalt Carsten Rinio noch 32 Beschuldigte in Untersuchungshaft. dpa/nd

Während die vier anderen Fraktionen bereits einen vorläufigen Fahrplan zu den Ausschusssitzungen bekanntgaben, befürchtet Schneider, dass in diesem in der Hauptsache Linksextremismus zum Gegenstand gemacht wird. Dabei bestehe insgesamt erhebliches Aufklärungsinteresse: »Wir wollen einen staats- und polizeikritischen Ton anschlagen und fordern, dass auch das Einsatzgeschehen Tag für Tag eingesehen werden kann«, sagt die Politikerin gegenüber »nd«.

Dass die gewählte Form der Aufarbeitung auf Senatsebene eine entscheidende Rolle spielt, war spätestens mit dem Fall des immer noch inhaftierten 18-Jährigen Fabio V. aus Italien aufgefallen. Er war mit einer Gruppe von etwa 60 Aktivisten bei einer Demonstration am 7. Juli in Untersuchungshaft genommen und für die »bürgerkriegsähnlichen Zustände« während der Gipfeltage mitverantwortlich gemacht worden.

Mit einem Video der Polizei tauchten auch Zweifel an ihrer Darstellung auf. Zunächst durch die »Süddeutsche Zeitung« und »Panorama« lanciert, wurde das Bildmaterial zuletzt in einem Bericht der Sendung »Panorama 3« gezeigt: Zu sehen ist eine Gruppe Vermummter, die unmittelbar nach dem Werfen von drei Leuchtfackeln von der Polizei angegriffen und als Versammlung aufgelöst wird.

»Panorama 3« berichtet, dass dieses Video von den Richtern nicht in die Ermittlungen gegen den in dieser Situation inhaftierten Fabio V. einbezogen wurde. Die Frage nach dem Warum, bleibt offen. In der Ermittlungsakte ist allerdings bei der Entscheidung vom 21. Juli kein Video vermerkt. Laut Anfrage des »nd« beim Hanseatischen Oberlandesgericht heißt es dort weiter: »Umfangreich hergestelltes Videomaterial wird derzeit von der Polizei ausgewertet.«

Die Aufzeichnungen könnten beispielsweise für Fabio V., dem schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wird, als entlastender Beweis dienen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss wäre die bessere Möglichkeit gewesen, um diese Diskrepanz aus dem Weg zu räumen: »Anders als in einem Sonderausschuss stehen Zeugen in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht«, meint Christiane Schneider. Weiter gefasste Versionen der Wahrheit hätten zudem Vorladungen von externen Zeugen erzeugt. Der Vorteil der Aufarbeitung durch den jetzigen Sonderausschuss liegt laut Hamburger Regierungsfraktionen in der thematisch sinnvollen Gliederung.

Im Fall von Fabio V., dessen Familie laut »Panorama 3«-Bericht für zwei Wochen das Besuchsrecht verwehrt wurde, könnte es trotzdem bald Bewegung geben: Eine Entscheidung auf die eingereichte Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen das Urteil des Oberlandesgerichts wird in den nächsten Wochen erwartet.

Die juristische Aufarbeitung geht auch in zwei weiteren Fällen voran. An diesem Montag verhandelt das Amtsgericht Hamburg gegen einen 21-jährigen Niederländer und am Dienstag gegen einen 24-jährigen Polen. Das teilte ein Gerichtssprecher gegenüber dpa mit.

Dem Niederländer wird demnach vorgeworfen, nach Beendigung der Demonstration »Welcome to Hell« am 6. Juli zwei Flaschen auf Polizisten geworfen und sich gegen seine Festnahme gewehrt zu haben. Der Mann aus Polen wird beschuldigt, auf dem Weg zur Großdemonstration »G20 not welcome: Grenzenlose Solidarität statt G20« gegen das Bewaffnungsverbot verstoßen zu haben. Er soll in seinem Rucksack sechs Feuerwerkskörper, ein nicht zugelassenes Reizstoffsprühgerät, eine Taucherbrille und zwei als Zwillengeschosse geeignete Glasmurmeln gehabt haben.

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