Polizei mit Windschutzscheibenperspektive
Der Streit um die Parkflächen ist ein Konflikt um die Infrastruktur der Großstädte - Berlin unternimmt gerade einen Kurswechsel
Erst im Juni sorgte ein tödlicher Fahrradunfall in Neukölln für öffentliche Empörung: Ein Radfahrer starb, als er in die sich plötzlich öffnende Tür eines Sportwagens fuhr. Dieser hatte im Halteverbot auf dem Radweg gestanden. Da der Fahrer im diplomatischen Dienst Saudi-Arabiens steht, genießt er Immunität und muss keine Strafverfolgung befürchten. Der Fall zeigt aber, wie gefährlich Falschparker für andere Verkehrsteilnehmer sein können. Im vergangenen Jahr kamen in Berlin 17 Radfahrer bei Verkehrsunfällen ums Leben, mehr als 5000 wurden verletzt. 2017 verunglückten bisher drei Radfahrer im Berliner Straßenverkehr tödlich.
Ist die Arbeit von Falschparker-Jägern wie Andreas Schwiede deshalb notwendig? »Denunzieren ist nicht gut für das Verkehrsklima, aber es wird so wenig kontrolliert, dass man kaum anders kann«, sagt Wasilis von Rauch, Bundesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), und fügt hinzu: »Falschparken wird oft zu niedlich diskutiert. Es geht hier nicht um Kavaliersdelikte, sondern um erhebliche Gefährdungen für andere Verkehrsteilnehmer.«
Wie Schwiede kritisiert auch Wasilis von Rauch die aktuelle Verteilung der Verkehrsfläche: »Parkende Autos bekommen zu viel Platz, dieser Platz fehlt für Fuß- und Radverkehr und für mehr Aufenthaltsqualität in den Kiezen«, sagt der Diplom-Geograph. Hier könne die Kommune durch eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und höhere Preise regulierend eingreifen. Ein weiteres Problem seien die niedrigen Bußgelder für Falschparker. »Sie liegen weit unter dem europäischen Durchschnitt und entfalten deshalb keine lenkende Wirkung«, so der VCD-Vorsitzende. Auch deshalb kämen Ordnungsamt und Polizei mit dem Abschleppen gar nicht hinterher.
Der Fahrradverband ADFC unterstützt die Arbeit Schwiedes: »Er handelt rechtmäßig bei dem, was er tut«, sagt Nikolas Linck, Pressesprecher des ADFC Berlin. Die Wurzel des Problems liege allerdings viel tiefer: »Wir brauchen eine andere Infrastruktur, so dass die Leute nicht die ganze Zeit die 110 anrufen müssen.« Auch beobachtet der ADFC, dass Polizei und Ordnungsamt oft aus einer »Windschutzscheibenperspektive« handelten, da sie die Realität der Radfahrer zu wenig kennen würden.
Sowohl an der Infrastruktur als auch an der »Windschutzscheibenperspektive« könnte das neue Berliner Mobilitätsgesetz etwas ändern, das Anfang August von Verkehrssenatorin Regine Günther vorgestellt wurde. Im Gesetzesentwurf der parteilosen Politikerin ist unter anderem die bessere physische Trennung von Straßen und Radwegen vorgesehen, so dass diese weniger leicht zugeparkt werden können. Daneben könnte der Einsatz von Polizei-Fahrradstaffeln - bisher gibt es sie nur im Bezirk Mitte - ausgeweitet werden. Bei den Ordnungsämtern sollen Fahrradstreifen eingerichtet werden.
Auch der Autoclub ADAC weiß, dass Falschparker ein Problem sind - unterscheidet jedoch zwischen Privatfahrten und Lieferverkehr beispielsweise des Einzelhandels. Letzterer würde oft aufgrund von Zeitdruck und mangelnden Alternativen auf dem Radstreifen halten.
»Kein Verständnis hat der ADAC allerdings für Leute, die aus Bequemlichkeit in zweiter Reihe parken, um nur mal ›schnell etwas zu erledigen‹«, sagt Leon Strohmaier, Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des ADAC Berlin-Brandenburg. Der Verband befürchtet allerdings bei allem diplomatischen Bemühen, dass für die im neuen Berliner Mobilitätsgesetz vorgesehene Fahrradförderung die Anzahl der Parkplätze in der Stadt verringert werden müsse. »Um jedoch diese Reduzierung vornehmen zu können, müssen Alternativen geschaffen werden, wo PKW parken können«, so Strohmaier. Der Gesetzesentwurf gebe darauf bisher keine Antworten.
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