Kampf um das Runet

Proteste für »freies Internet« nach VPN-Verbot in Moskau / Mehrere Festnahmen

  • Christopher Braemer, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

»Finger weg vom Internet«, hallen die Sprechchöre am Samstagnachmittag lautstark über den Sacharow Prospekt unweit der Moskauer Innenstadt. Der Ton beim »Protest für freies Internet« zeugt von Frust, der sich bei den Demonstranten angestaut hat. Etwa 4000 waren es laut Veranstalter, der oppositionellen Partei Parnas. Nach Polizeiangaben nur knapp 1000 - zehnmal weniger als angekündigt.

Die Proteste richteten sich vor allem gegen die im Juli unterzeichneten Anti-VPN-Gesetze und gegen die Medienaufsicht Roskomnadsor. Neben Moskau wurde diesmal auch in anderen russischen Großstädten demonstriert: so in Wladiwostok, Nowosibirsk und Jekaterinburg. In St. Petersburg versammelten sich laut Veranstalter 100 Menschen.

Protestiert wurde auch für die Freilassung von Dimitrij Bogatow. Er gehört zu den aktiven Mitgliedern der Tor-Community. Bis Ende August steht er unter Hausarrest, ihm droht eine Haftstrafe von bis zu 19 Jahren. Der 25-jährige Software-Entwickler und Matheprofessor an der Moscow Finance and Law University war Betreiber eines sogenannten Exit-Nodes (Ausgangsknoten). Damit stand Bogatows IP-Adresse auch allen anderen Tor-Nutzern zur Verfügung. Anfang April wurde er verhaftet. Bogatow soll in einem sozialen Netzwerk zu den Anti-Korruptions-Protesten am 29. März aufgerufen haben. Er plädiert auf unschuldig - seine IP-Adresse sei missbraucht worden.

Die Demonstranten sehen die Freiheit des Internets in Russland in Gefahr. »Das VPN-Verbot ist nur die jüngste Maßnahme, jedes Jahr folgen neue Verbote. Diese schränken mich nicht nur bei der täglichen Nutzung des Internets ein, sondern verfolgen mich bei jedem Klick«, erklärt etwa der Programmierer Wiktor Gubernijew seine Teilnahme.

Erst Ende Juli unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das VPN-Diensten wie Tor ab dem 1. November verbietet, den Zugang zu in Russland offiziell gesperrten Seiten zu ermöglichen. Bei Zuwiderhandlung droht den Providern selbst die Sperrung. Zudem verabschiedete das Parlament im Juli ein Gesetz, das den Erwerb von SIM-Karten ohne Ausweis untersagt. Es tritt ab 2018 in Kraft.

Tor und andere VPN-Dienste erlauben es derzeit noch, mittels einer verschleierten IP-Adresse anonym im Netz zu surfen und blockierte Seiten aufzurufen - wie LinkedIn. Die Plattform war im November vergangenen Jahres von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor verboten worden. Doch auch Drogenhändler und Menschenrechtsaktivisten sind auf solchen Umwegen erreichbar. Mit dem neuen Gesetz soll das Runet angeblich sicherer werden.

Roskomnadsors »Schwarze Liste« zählt neben der oppositionellen Internetseite grani.ru mittlerweile knapp 80 00 Einträge, rund um die Bereiche Kinderpornografie, Drogen und Suizid. Aber auch LinkedIn oder die Webseite der als »extremistisch« eingestuften Zeugen Jehovas sind blockiert. Zudem unterliegen beliebte Spaß- und Meme-Seiten wie Pikabu und Lurkmore den Sperrungen. Seit 2012 darf die russische Medienaufsicht Roskomnadsor Webseiten auch ohne Gerichtsbeschluss sperren.

»Die neuen Datengesetze haben zwei Ziele: den Zugang zu blockierten Webseiten per VPN zu verschließen und es den Geheimdiensten zu ermöglichen, Nutzer von Messengern sofort zu identifizieren«, erklärt Andrej Soldatow, investigativer Journalist, Geheimdienstexperte und Autor des Buches »The Red Web: The Struggle Between Russia’s Digital Dictators and the New Online Revolutionaries«. Dass die Maßnahmen geeignet sind, Drogenhandel oder Terrorismus zu bekämpfen, bezweifelt er: »Deren Spielraum ist das Darknet - und das lässt sich nicht so einfach abschalten.«

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