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Besser abschneiden: Mehr Geld für Friseur-Azubis gefordert

Gewerkschaft ver.di: Auszubildende im Friseurhandwerk sind unterbezahlt / Lage im Osten besonders schlimm

  • Lesedauer: 4 Min.

Julia Müller hat sich einmal entschieden, Friseurin zu werden, weil sie Leute glücklich machen wollte. Doch dann sei sie selbst während ihrer Ausbildung unglücklich geworden, erzählt die 28-Jährige. »Anfangs bin ich am Abend oft heulend nach Hause gegangen.« Und auch jetzt, im dritten Lehrjahr kurz vor der Gesellenprüfung, leide sie noch unter ihren Arbeitsbedingungen.

Julia Müller heißt eigentlich anders. Aber um es sich so kurz vor der dem Ziel nicht mit der Chefin ihres kleinen Salons in Kassel zu verscherzen, hält sie ihren echten Namen geheim. »Man kommt als Azubi in einen Laden wie eine Billigkraft«, sagt die alleinerziehende Mutter. »Den ganzen Tag soll man putzen und die Handtücher hin- und hertragen.«

Färben üben? Locken wickeln lernen? Dazu komme sie während der Arbeitszeiten gar nicht. Modelle müsse sie abends privat einladen und die Haarfarbe und Scheren auch noch selbst bezahlen. Dabei arbeitet Müller noch nicht einmal bei einer Billigkette. 300 Euro bekomme sie im Monat, sagt sie. Das ist noch nicht mal besonders wenig. »Im Osten ist es noch schlimmer. Ich habe Glück, dass ich in Hessen bin.«

Und tatsächlich ist die Lage der Friseur-Azubis nach Angaben der Gewerkschaft ver.di in den ostdeutschen Ländern noch schwieriger: Hier erhalten die angehenden Friseure im ersten Lehrjahr durchschnittlich 269 Euro Ausbildungsvergütung monatlich, sagt ver.di-Sprecher Marvin Reschinsky. Im Westen ist es demnach fast doppelt so viel: 494 Euro.

Besonders schlimm stehe es um die Azubis in Sachsen-Anhalt - sie bekämen nach einer heute noch gültigen Regelung aus den 90er Jahren gerade einmal 153 Euro monatlich. In Sachsen liegt die Durchschnittsvergütung bei 200 Euro, in Thüringen bei 205 Euro.

Weil sie so wenig verdienten, seien viele der rund 23.000 Friseur-Azubis in Deutschland auf Hilfe aus der Familie oder vom Staat angewiesen, sagt Reschinsky. »Es ist ein Skandal, dass das Geschäftsmodell darauf basiert, dass Auszubildende überwiegend von Staatshilfen leben müssen.« Noch dazu seien die Arbeitsbedingungen oft nicht gut: Er habe von Azubis gehört, die drei Jahre lang nur putzen mussten oder die in zwei Jahren keinen einzigen Tag Urlaub bekommen hätten.

Am Dienstag will ver.di in rund 20 deutschen Städten, darunter Leipzig und Halle, Protestaktionen starten, um auf die Lage der Friseur-Azubis aufmerksam zu machen. In den vergangenen Monaten zogen Verdi-Mitarbeiter zudem durch viele Berufsschulen und klärten die angehenden Friseure über ihre Rechte auf. 1.800 von ihnen habe man dadurch als Neu-Mitglieder gewonnen.

Julia Müller, Friseur-Azubi in Kassel, ist eine von ihnen. Sie machte nach eigenen Angaben lange Zeit Überstunden, ohne sie jemals abzufeiern - sie habe gar nicht gewusst, dass sie das dürfe, sagt sie. Wer krank sei, ziehe die Wut der Chefin auf sich. Wer sich wegen der Arbeitsbedingungen beschwere, werde gemobbt.

»Viele machen den Beruf aus Leidenschaft und lassen sich deshalb ausbeuten«, sagt ver.di-Sprecher Reschinsky. Sich zu wehren, sei in den meist kleinen Betrieben schwer. Die Azubis arbeiteten tagtäglich mit ihrem Arbeitgeber, einen Betriebsrat gebe es selten. Viele brächen ihre Ausbildung ab. Julia Müller erzählt, in ihrer Klasse säßen nur noch 8 von ursprünglich 28 Friseur-Azubis.

Neben der Gewerkschaft beklagen auch die Arbeitgeber einen Nachwuchsmangel. Nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks sank über viele Jahre die Zahl der neuen Ausbildungsverträge. 2016 sei sie erstmals wieder leicht gestiegen: um 0,7 Prozent auf knapp 10.700.

Gegen die Nachwuchsprobleme könne eine höhere Vergütung helfen, hieß es von dem Arbeitgeberverband. Die meisten der Landesverbände wollten dafür neue Verträge abschließen. Gespräche mit ver.di lägen aber derzeit auf Eis. Ver.di wolle eine bundesweit einheitliche Lösung. Doch das sei angesichts der sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Ländern schwierig umzusetzen.

Julia Müller aus Kassel würde an ihrer Ausbildung als erstes die Bezahlung ändern. »Für einen jungen Menschen ist die Motivation schnell gebrochen, bei 300 Euro pro Monat.« Nach ihrer Gesellenprüfung will Müller direkt ihren Meister machen - um unabhängiger zu werden und mehr zu verdienen. »Wir machen doch die Leute glücklich, und deswegen verstehe ich nicht, warum wir so wenig wertgeschätzt werden.« dpa/nd

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