»Eine Eigentumswohnung ist die beste Alterssicherung«
Wie bitte? Aufklärung über die Mythen der Wohnungsdebatte. Teil 10 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«
Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wir stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.
»Ich bin fest davon überzeugt, dass die Immobilie die perfekte Altersvorsorge ist.« Jens Haupt, Geschäftsführer der Immobiliengesellschaft der Berliner Sparkasse / »Wenn einer die Möglichkeit bekommt, eine eigene Wohnung zu kaufen – und damit eine Heimat – dann ist das doch gut und richtig.« Einar Skjerven, Immobilieninvestor und geschäftsführender Gesellschafter der Skjerven Group GmbH
Wie wird argumentiert?
Der Kauf einer Wohnung, so die selbst in linken Kreisen gepflegte Überzeugung, bedeutet mehr Sicherheit und Unabhängigkeit. Statt ein Leben lang monatlich Miete an einen Vermieter zu zahlen und dessen Vermögen zu mehren, ist der Kauf eines Hauses oder einer Eigentumswohnung eine Investition in die Zukunft. Insbesondere nach Abzahlung der Kredite, so das Versprechen, ist das Wohnen in den eigenen vier Wänden in der Regel sogar günstiger als das Wohnen zur Miete. Gerade für Menschen, die im Alter nur eine niedrige Rente erhalten werden, zahlen sich die getätigten Investitionen finanziell aus: durch verringerte Wohnkosten und die Möglichkeit, Wohneigentum zu vermieten oder zu einem viel höheren Preis wieder zu verkaufen. Darüber hinaus schützt Eigentum vor Verdrängung durch Gentrifizierung. Die Aufwertung des Stadtteils trägt sogar zur Wertsteigerung der eigenen Immobilie bei.
Was ist dran?
Schon seit Langem werben interessierte Kreise aus Wirtschaft und Politik mit den vielfältigen Verheißungen von Wohneigentum. Doch in der Praxis zeigt sich, dass es nur bestimmte Bevölkerungsgruppen sind, die tatsächlich von den Vorteilen profitieren können. Nach wie vor ist Vermögen, das als Eigenkapital eingebracht werden muss, und ein stabiles Einkommen die Bedingung, um eine Bankenfinanzierung für den Kauf einer Wohnung oder eines Eigenheims zu erhalten.
Die Hypothekenkrise in den USA hat deutlich gezeigt, was passieren kann, wenn die finanziellen Voraussetzungen für die Kreditvergabe bewusst herabgesetzt werden. Hunderttausende Familien haben dort im Zuge der Krise ihre Häuser und Wohnungen verloren und mussten zusehen, wie ihr Sicherheit versprechendes Eigentum in Zwangsversteigerungen zu Schleuderpreisen feilgeboten wurde. Letztendlich hatten sie ihre frühere Abhängigkeit von VermieterInnen nur gegen eine Abhängigkeit von den Banken eingetauscht.
Im Unterschied zu den gesetzlich geregelten Mietsteigerungsmöglichkeiten, die in gewisser Weise berechenbar sind, können sich die Konditionen für die Finanzierung von Wohneigentum recht schnell verändern. Verlässlich kalkuliert werden können nur die Zinsen und Tilgungsraten für den jeweils laufenden Kreditvertrag. Wie sich die Zinsbelastungen in den nächsten zehn oder 15 Jahren entwickeln werden, können weder die KäuferInnen noch die Banken vorhersagen – entsprechend hoch ist das Finanzierungsrisiko.
Die üblichen Baudarlehen sind so gestaltet, dass über die Vertragslaufzeit jährlich der gleiche Betrag gezahlt werden muss. Durch die erfolgte Tilgung reduziert sich dann Jahr für Jahr der Zinsanteil zugunsten der Tilgung. Je höher der anfängliche Tilgungssatz, desto schneller ist das Eigentum bei der Bank abgezahlt. Aber mit einer höheren Tilgung steigen die Kosten.
Vor allem KäuferInnen mit geringeren Einkommen sind daher gezwungen, mit niedrigen Tilgungsraten einzusteigen. Bei einer durchaus üblichen Einstiegstilgung von einem Prozent wäre das Haus oder die Eigentumswohnung aber erst nach 62 Jahren vollständig abgezahlt. Selbst bei einem Eigentumserwerb in jungen Jahren müssten die KäuferInnen sehr alt werden, um überhaupt in den Genuss der Vorteile zu kommen, die das Eigentum verspricht. Auch bei einer anfänglichen Tilgungsrate von zwei Prozent – mit deutlich höheren Kosten – wäre die Eigentumswohnung erst nach 38 Jahren abgezahlt.
Um pünktlich zum Eintritt ins Rentenalter die Alterssicherung genießen zu können, müsste der Kauf also bereits mit Mitte Zwanzig erfolgen, in einem Alter also, in dem die meisten gerade mit ihrer Ausbildung fertig sind und auch die Familiengründungsphase noch nicht abgeschlossen ist. Ein halbwegs realistischer Zeitraum (mit knapp 22 Jahren) für die Refinanzierung ergibt sich erst bei einer anfänglichen Tilgungsrate von vier Prozent. Doch hierbei wären, das derzeitige Zinsniveau vorausgesetzt, die jährlichen Kosten für dieselbe Darlehenshöhe mehr als doppelt so hoch wie bei einer Tilgungsrate von einem Prozent. Kurzum: Den Absicherungseffekt von Wohneigentum muss man sich leisten können. Wer ein niedriges Einkommen hat, muss länger zurückzahlen und wird durch den Eigentumserwerb in der Regel keine verlässliche Alterssicherung aufbauen können.
Darüber hinaus ist zu fragen, inwieweit Wohneigentum in der jetzigen Form überhaupt noch den Flexibiltätsanforderungen der modernen Arbeitswelt entspricht. Die Herausforderungen von häufig wechselnden Arbeitsorten, bildungsbedingten Umzügen sowie sich abhängig von der jeweiligen Lebensphase ändernden Wohnbedürfnissen lassen sich im Rahmen eines vorrangig auf Mietwohnungen setzenden Systems deutlich besser bewältigen. Die in anderen Ländern übliche Abfolge von Verkäufen und Neuerwerbungen von Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern stößt hierzulande an die Grenzen der Kosten und des Angebots. Insbesondere auf angespannten Wohnungsmärkten wäre ein Wechsel von einer Eigentumswohnung in eine andere außerdem mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Fazit
Es ist nicht das Wohneigentum, das Menschen im Alter ökonomisch absichert, sondern es sind die ökonomischen Sicherheiten und Privilegien, die den Eigentumserwerb ermöglichen.
ndrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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