Wenn zwei Sozis über steigende Mieten reden
Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz sprach als Gastredner in Neukölln über Wohnungsneubau
Es war ein durchaus peppiger Titel, unter dem der Neuköllner SPD-Bundestagskandidat Fritz Felgentreu am Dienstag ins Prachtwerk unweit des Rathauses Neukölln eingeladen hatte: »Miete sich wer kann!«
Thema war die Wohnungspolitik in Großstädten. Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD) war als Gesprächspartner gekommen, um über seine Erfahrungen in der Hansestadt zu berichten. Empfangen wurde er vor dem Lokal von einer Gruppe linker Aktivisten mit »Verpiss Dich!«-Rufen. Im Saal referierte Scholz dann vor allem über Wohnungsneubau.
»Ohne Neubau wird es nicht gehen«, sagte Scholz. 6000 neue Wohnungen baue Hamburg jährlich, das sei Spitze in der Republik. Man müsse darauf achten, dass ausreichend Sozialwohnungen gebaut werden. Nach zwanzig Minuten wird es einer Zuhörerin zu bunt: »Es wurde doch ein Gespräch angekündigt. Stattdessen redet nur Herr Scholz«, rief sie zornig. Dass es an diesem Abend, obwohl nur angemeldete Gäste eingelassen wurden, kein Heimspiel für Scholz werden würde, war klar.
Rund 120 Neuköllnerinnen und Neuköllner saßen im Saal. Als endlich die Frage nach Wortmeldungen kam, schnellten die Finger in die Höhe: Wie kann man Genossenschaften unterstützen? Müsse man nicht die Modernisierungsumlage reduzieren? Was kann man gegen Landflucht tun? Wie können wir die Bodenpreise senken?
Scholz trat bis an die Kante der kleinen Bühne heran, hörte aufmerksam zu. Dann zog er sich das Jackett aus, krempelte die Ärmel hoch: Ja, Genossenschaften sei die SPD traditionell verbunden, diese müsse man »sehr speziell berücksichtigen«, sagte er. Konkreter wurde Scholz in dem Punkt nicht. Ja, die Modernisierungsumlagen müssten verringert werden, um die Mieten nach Modernisierungen zu senken. Außerdem dürften die Anforderungen der Energie-Einsparverordnung (EnEV) nicht weiter verschärft werden, damit nicht jedes Haus hinter 17 Zentimetern Styropor verschwinde und mit aufwendiger Technik belüftet werden müsse. Zum Thema Landflucht merkte er lediglich an, dass man die Menschen nicht zwingen könne, auf dem Land zu bleiben, wo Wohnraum leer stehe.
Ansonsten kam Scholz wieder auf den Wohnungsneubau zu sprechen. Von diesem inhaltlichen Mangel lenkten markige Sätze wie »Die Wohnungswirtschaft stellt Produkte her, die sich die meisten Menschen nicht leisten können« nur unzureichend ab.
Felgentreu sprang ihm zur Seite: »Ich werde mich im Bundestag für die Verschärfung der Mietpreisbremse einsetzen. Vermieter sollen bei Nichteinhalten Bußgelder zahlen.« Außerdem wolle er den Genossenschaftsgedanken fördern. Beispielsweise sei in Wien 80 Prozent des Wohnraums öffentlich gefördert. »Das verdirbt den Spekulanten den Spaß«, meinte Felgentreu.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wien kauft Bauland und Wohnungen auf, um diese dann an gemeinnützige Bauträger weiterzuverkaufen. In Berlin war das bis vor Kurzem noch andersherum. Doch das verschwieg der Sozialdemokrat Felgentreu, der früher im Abgeordnetenhaus saß, wohl lieber geflissentlich.
Stefan, ein Zuhörer mit rot kariertem Hemd, merkte an: »Ich sehe keine Hoffnung. Die Entwicklung in Berlin wird genauso verlaufen wie in London, New York oder Paris. Viele werden sich ein Leben in der Stadt nicht mehr leisten können.« Stefan ging es offensichtlich wie vielen: Von der Problemlösungskompetenz der Politik sind sie nicht überzeugt.
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