Nirgendwo ein neuer Nedved
Tschechien hat die Entwicklung im Fußball verpasst
Vermutlich wären Ankündigungsplakate auf einen Fußballklassiker hier deplatziert: In den touristischen Zentren östlich der Moldau mit seinem Altstadtring und dem Geflecht der engen Gassen deutet wenig bis nichts darauf hin, dass Prag das Gastspiel des Weltmeisters bevorsteht. Die auf sieben Hügel verteilte tschechische Hauptstadt, die sich wie kaum eine zweite Metropole in Europa ihre mittelalterlichen Strukturen bewahrt hat, bietet zu viele andere Reize, die die Menschen mehr faszinieren als ein Länderspiel. Oder ist es die Perspektivlosigkeit der eigenen Auswahl?
Taxifahrer tun sich schwer, auch nur drei aktuelle Nationalspieler aufzuzählen. Flüssig über die Lippen kommen allein die Helden der Vergangenheit. Pavel Nedved und Karel Poborsky, Patrick Berger und Jan Koller, Petr Cech und Tomas Rosicky. Die letzteren beiden haben allerdings mit ihrem Zutun auch nicht verhindert, dass die Tschechen sich bei der EM 2016 sang- und klanglos in der Gruppenphase verabschiedeten. Nun ist auch ihre Ära zu Ende, und die einst stolze Fußballnation droht das dritte Mal in Folge eine Weltmeisterschaft zu verpassen. Die Erwartungshaltung für Freitag hat Trainer Karel Jarolim schon heruntergedimmt. »Es würde mich ärgern, wenn wir ängstlich und ohne Mumm in das Spiel gehen.« Da scheint einer zufrieden, wenn es in der Eden Arena im Stadtteil Vršovice, der schmucken Heimstätte von Slavia Prag, nicht eine Lehrstunde gibt wie vor einem Jahr im Hamburger Volksparkstadion, als das Team mit der 0:3-Lektion fast noch gut bedient war.
Ein Jahrzehnt ist es inzwischen her, das Tschechien in einem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2008 gegen Deutschland selbst mit 3:0 triumphierte. Ein Team mit den Bundesligalegionären Tomas Ujfalusi, Tomas Galasek oder Jan Koller führte der damals bereits qualifizierten Mannschaft von Joachim Löw in München diese schmerzliche Schlappe zu. Nie mehr hat der Bundestrainer seitdem so hoch verloren. Und viel gegensätzlicher hätte die fußballerische Entwicklung beider Mannschaften kaum verlaufen können.
Löws Kollege wird das Kunststück seines Vorgängers Karel Brückner also kaum wiederholen. Der Vater des ehemaligen Bundesligaprofis David Jarolim steckt vielmehr im Dilemma: Eigentlich ist das Match am Montag in Nordirland viel wichtiger. Läuft am Freitag alles nach Plan - Tschechien verliert gegen Deutschland, Nordirland gewinnt in San Marino - dann betrüge der Rückstand auf den Gruppenzweiten aber schon sieben Punkte. Irgendwie muss seine Elf, in der mit Theodor Gebre Selassie (Werder Bremen), Pavel Kaderabek (TSG Hoffenheim) und Vladimir Darida (Hertha BSC) drei Bundesligaakteure stehen, den Spagat schaffen: sich in Prag zwar mit Händen und Füßen wehren, um doch noch genug Kraft für Belfast aufzusparen. Ansonsten sollen irgendwann die Langzeitprojekte greifen. Der tschechische Verband hat nach deutschem Vorbild begonnen, Fußballakademien für die Talentförderung einzurichten.
»Realistisch betrachtet muss jeder wissen, dass es etwas dauert, bis wieder eine solche Generation nachkommt«, sagt der 43-fache Nationalspieler Gebre Selassie, der hinter Darida (45 Länderspiele) bereits der Akteur mit den zweitmeisten Einsätzen im Nationalteam ist. Tomas Soucek (22 Jahre) vom Meister Slavia Prag, Antonin Barak (22) oder Jakub Jankto (21), beide bei Udinese Calcio unter Vertrag, und vor allem der noch gar nicht berufene und gerade zum AS Rom gewechselte Angreifer Patrik Schick heißen die Hoffnungsträger auf eine bessere Zukunft.
Aber reicht das? »Bei uns gibt es sehr wenige Spieler, die international richtig mitmischen können«, sagte Ex-Nationalspieler jüngst Koller. Der kahlköpfige Hüne gewann mit Borussia Dortmund einst die deutsche Meisterschaft und half mit, dass sich der junge Rosicky entfaltete. Damals konnte niemand ahnen, dass nicht mehr viele Ausnahmekönner folgen sollten. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, dessen Vita ewig mit dem Golden Goal gegen Tschechien im Finale der Europameisterschaft 1996 verbunden sein wird, erinnert sich fast wehmütig an die umkämpften Duelle auf Augenhöhe. »Das waren immer interessante Spiele.« Sein liebster Widersacher sei damals die Ikone von Juventus Turin, Pavel Nedved, gewesen, der irgendwann Bierhoff gar nicht mehr begegnen wollte, so schlechte Erinnerungen verband der Superstar mit dem Schreckgespenst des tschechischen Fußballs.
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