Simuliertes Streitgespräch von Merkels Gnaden
Jürgen Amendt über das bevorstehende »Kanzler-Duell« im Fernsehen und das Einknicken der TV-Sender vor den Forderungen des Kanzleramts
Schon der Begriff bringt den Zustand der Debattenkultur des deutschen Fernsehens auf seinen niveaulosen Kern: TV-Duell. Ganz so, als ob es im politischen Streit um Sieg und Niederlage und darum ginge, den Verlierer einer Auseinandersetzung zu liquidieren. Am Sonntagabend also werden sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Martin Schulz im Fernsehen »duellieren«.
Die Modalitäten dieses Kampfes sind in den vergangenen Monaten zwischen den Sendern und den Kontrahenten abgestimmt worden. Wobei: Abgestimmt ist das falsche Wort, das Kanzleramt und Merkel haben die Bedingungen diktiert. ARD, ZDF, RTL und Sat.1. wollten, dass zwei Diskussionsrunden an zwei Abenden ausgestrahlt werden sollten - einmal bei den öffentlich-rechtlichen, einmal bei den kommerziell-privaten Sendern. Das Kanzleramt war dagegen. Die Sender lenkten ein und boten an, Merkel und Schulz nacheinander in 45-Minuten-Blöcken zu befragen; auch das wurde von der Union abgelehnt. Als Merkel mit einer Absage drohte, kapitulierten die Sender. Die beiden »Duellanten« werden wie vor vier Jahren abwechselnd von je zwei Moderatorenpaaren befragt.
Und wie seit 2002, als zum ersten Mal Amtsinhaber und der Kandidat der größten Oppositionspartei in solch einem Format aufeinandertrafen, wird am Sonntag alles fein inszeniert sein: Jeder der beiden wird exakt die gleiche Redezeit haben; einen Diskurs, der ja den Austausch von Argumenten und deren wechselseitige Widerlegung voraussetzt, wird es nicht geben. Wichtig ist der Eindruck, der beim Zuschauer entsteht, nicht der Inhalt des Gesagten.
Fragt sich, warum sowohl die TV-Sender als auch die Parteien so erpicht auf solche simulierten Debatten sind. Für Politiker stellt sich die Sache so dar: 2013 ermittelten Meinungsforscher nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Peer Steinbrück, dass zehn Prozent der Zuschauer durch die Sendung motiviert wurden, ihre Wahlentscheidung zu ändern. Das ist keine unbeachtliche Zahl. Viel wichtiger für Politiker ist allerdings, wie nach der Sendung in den Medien über sie berichtet wird. Gilt man den Journalisten als »Sieger« oder als »Verlierer«? Die Demoskopen werden in »Blitzumfragen« schon früh ihre Ergebnisse vorlegen und die sogenannten Leitmedien werden ihnen sekundieren.
Dabei sagen weder solche Umfragen noch die Frage, wer in dem »Duell« gewonnen hat, wirklich etwas über die Wählerpräferenzen aus. Ein Beispiel dafür sind die US-Präsidentschaftswahlen von 2016. Nach allen TV-Duellen erklärten Medien und Demoskopen unisono Clinton zur Siegerin, Trump zum Verlierer. Wie die Wahl im November 2016 ausging, ist bekannt. Dass viele Medien hierzulande daraus nichts gelernt haben, lässt sich so erklären, dass sie keinen Ausstieg aus dem Hamsterrad erkennen. Sie sind eng - zu eng - mit der Politik verbandelt. Und deshalb haben sich die TV-Sender von Merkel auch die Modalitäten des »Duells« diktieren lassen. Damit endet eine Entwicklung, die 1969 begann. Damals forderte Willy Brandt ein Streitgespräch mit dem amtierenden Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) im ZDF. Nicht nur Kiesinger lehnte ein solches ab, sondern auch das ZDF. Erst allmählich erkannten die TV-Sender, dass das Format Einschaltquoten garantiert wie ein Fußball-Länderspiel. Einschaltquoten sind heute die Leitwährung im Fernsehen, nach der sich nicht nur Werbeeinnahmen bemessen, sondern auch der Wert von Journalisten.
Für Moderatorinnen und Moderatoren gilt der Einsatz in diesem »Duell« als Ritterschlag. Es geht bei dem »Duell« Merkel/Schulz für diese Journalisten nicht um Journalismus, sondern um die Selbstvergewisserung, zur Besatzung des Polit-Raumschiffs Berlin zu gehören. Was das bedeutet, hat ihnen Merkel dieser Tage deutlich gemacht. Auf die Kritik an ihren Bedingungen für das TV-Duell reagierte sie mit dem Hinweis, dass es schließlich ihre Freiheit sei, darüber zu entscheiden, ob sie eine Einladung zu einer solchen Sendung annehme oder nicht. Merkel weiß, wer am längeren Hebel sitzt.
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