Eine Schande fürs ganze Land
Beim DFB herrscht Empörung über den Auftritt einiger Fans in Tschechien
Touristenführer in gelben T-Shirts, meist englischsprachige Studenten, stehen im Altstadtring von Prag an jeder Ecke. Viele leiten beim Rundgang alsbald in die Josephstadt, um im ehemaligen Judenviertel die schwierige Geschichte der tschechischen Hauptstadt zu vermitteln. In der Pinkas-Synagoge wird beispielsweise an die rund 80 000 Tschechen jüdischen Glaubens erinnert, die dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. An den Wänden sind die Namen der Toten aufgeführt. Allein vor diesem Hintergrund ist es befremdlich, wenn vor einem Länderspiel deutsche Anhänger glauben, sie müssten ihre Präsenz in den engen Gassen mit »Deutschland, Deutschland«-Gegröle dokumentieren.
Beschämend wird es, wenn nach einem WM-Qualifikationsspiel wie am Freitagabend nicht nur »Sieg« gebrüllt, sondern ein »Heil« hintenan geschickt wird. Zuvor hatten sich rund 200 rechtsradikale Wirrköpfe ausgiebig an Anti-DFB-Parolen abgearbeitet, die sich noch verstärkten, als die deutschen Nationalspieler nach dem 2:1-Erfolg nicht zu ihnen kamen, sondern in der Kabine verschwanden. Demonstrativ empfingen dafür die tschechischen Kicker den Applaus des deutschen Pöbels - und wussten gar nicht, wie sie damit umgehen sollten.
Joachim Löw befand sich zu diesem Zeitpunkt am Freitag bereits in der Kabine. Der Bundestrainer hatte nach der Partie im verregneten Prag zuerst keine Stellung bezogen, weil er am Platzrand nichts mitbekommen habe. Dafür ließ sein Statement am Sonntag in seiner Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. »Ich bin voller Wut und sehr, sehr angefressen über das, was passiert ist. Dass einige sogenannte Fans die Bühne des Fußballs benutzen, um mit ihren oberpeinlichen Auftreten viel Schande über unser Land zu bringen«, wetterte Löw auf der DFB-Pressekonferenz in Stuttgart.
Seine Spieler seien würdige Vertreter eines »respektvollen und toleranten Deutschlands«: »Diese Chaoten beschädigen dieses Bild« - und treten damit auch die Werte der Nationalmannschaft mit Füßen. Das sei »zutiefst verachtenswert« und »unterste Schublade.« Der Trainer empfang es als das »absolut richtige Zeichen«, dass seine Spieler die Nazi-Rufe thematisiert hätten.
Von einer »Katastrophe, ganz schlimm« hatte zuerst Siegtorschütze Mats Hummels gesprochen. Während Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff die Causa zuerst »nicht zu hoch hängen wollte«, trug einer der Wortführer im deutschen Team noch vor der Rückreise vor, was ihm noch alles missfallen hatte: das Stören der Schweigeminute für den verstorbenen Generalsekretär des tschechischen Fußballverbandes, Rudolf Bat’a, und die Verbalattacken gegen den Stürmer von RB Leipzig, Timo Werner. Der Münchner Abwehrchef: »So einen Schmarrn brauchen wir auf gar keinen Fall bei unseren Spielen. Das sind keine Fans, das sind Krawallmacher, Hooligans«, so Hummels.
Offenbar hatten die Protagonisten auf dem Rasen noch besser als die 18 093 Zuschauer auf den Rängen mitbekommen, dass auch »nationalsozialistischer Hintergrund« zu hören war, wie Julian Brandt erklärte: »Wir waren uns alle einig, dass wir da jetzt nicht noch in die Kurve gehen und das noch unterstützen.«
Dass die Mannschaft auch die mitgereisten Mitglieder aus dem eigenen Fanclub bestrafte, nahm sie billigend in Kauf. Es kam eben nicht mehr infrage, den Mantel des Schweigens über Auswüchse zu hüllen, die es in der DFB-Geschichte bei Länderspielen in Osteuropa oft gegeben hatte. Bereits vor einem Jahrzehnt zog zu einem EM-Qualifikationsspiel ein deutscher Mob durch die Gassen der Moldaustadt. Damals waren das noch Randerscheinungen aus Sicht der Profis, die sich mit solchen Themen schwer taten.
Doch Wegschauen war gestern. Ein persönlicher Reifeprozess, vielleicht sogar wichtiger als fußballerischer Fortschritt. DFB-Präsident Reinhard Grindel lobte »das feine Gespür, das die Mannschaft bewies, sich eindeutig vom Verhalten eines Teils der deutschen Zuschauer in Prag zu distanzieren.« Das sei ein klares Signal, schrieb der Verbandschef über sein Facebook-Profil: »Ihr seid nicht unsere Fans. Ihr seid Krawallmacher. Ihr missbraucht die Bühne des Fußballs. Wir sind nicht Eure Mannschaft.«
Leipzigs Torjäger Werner vermutete, die Gruppe käme wohl aus einer Stadt, die »nicht so weit entfernt« liege. Aber nicht nur Chaoten aus Dresden oder Leipzig, sondern auch aus Köln und Hannover sollen beteiligt gewesen sein. Die radikalen Kräfte hatten sich die Karten offenbar leicht über tschechische Kanäle besorgen können, um in die Eden-Arena zu gelangen, was Grindel nun bei der UEFA ansprechen will. Löw wünscht sich, »dass solche Chaoten, die uns alle beschädigen«, mit harten Sanktionen belegt werden. »Das sind nicht unsere Fans. Jeder von diesen Leuten, der nicht ins Stadion kann und darf, ist ein absoluter Gewinn.« Auch Hummels findet, »man muss schauen, dass man die aus dem Fußball rauskriegt«: Denn: »Die Leute, die rufen, dass gewisse andere Institutionen den Fußball kaputt machen, machen ihn selber kaputt.«
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