Werbung

Rechte Opfer-Inszenierung und das Dilemma der Kritik

Die AfD produziert Eklats, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dagegen hilft Empörung wenig. Erinnerung an einen Vorschlag von Jürgen Habermas

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Was hier nun aufgeschrieben folgt, ist auf gewisse Weise das Gegenteil von dem, was eigentlich gesagt werden soll. Weil durch ein Nichtsagen erst erreicht würde, dass die anderen ihr Ziel nicht erreichen. Unverständlich? Wir sind schon mitten drin im Dilemma einer Kritik, die, wo sie ausgesprochen wird, das Geschäft der rechten Selbstinszenierung mitbetreibt.

Die Spitzenkandidatin der Rechtsaußen-Truppe AfD hat demonstrativ eine Wahlsendung verlassen. Der Anlass, der Alice Weidel zu diesem »Eklat« - wie es nun überall heißt - brachte, ist gering gewesen: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hatte die Politikerin aufgefordert, sich von einem rechtsradikalen Parteifreund zu distanzieren, dem Thüringer Björn Höcke.

»Weidel verließ daraufhin wortlos ihren Platz am Stehpult der Gesprächsrunde mit insgesamt sieben Politikern - unter Beifall und Johlen des Publikums«, so berichtet es die Deutsche Presse-Agentur. Und die AfD schickt natürlich ein Statement hinterher, dass sich gegen die Moderatorin Marietta Slomka richtet - diese habe sich »mit der frechen Intoleranz und der plumpen Argumentation von SPD und Grünen gemein gemacht«. Für die Rechtsausleger ein Argument, »die Zahlung des Rundfunkbeitrages zu verweigern«.

Und alle berichten darüber, tun also das, was die AfD bezweckt hat. Dabei ist es fast schon unerheblich, ob man gleich die notwendige Kritik an der Aufmerksamkeitsstrategie der Rechtsaußen mitliefert, ob man die Schleifen der Inszenierung aus rhetorischem Ausfall und nachträglicher Verteidigung enthüllt, ob man auf die Gefahr der Normalisierung hinweist, die darin liegt, wenn ein Alexander Gauland hier die »Entsorgung« von Politikern fordert und dort davon spricht, wer seiner Meinung nach kein dauerhaftes »Lebensrecht« hierzulande genießt.

Herbeigepöbelte Sichtbarkeit

Was bei Gauland die offen faschistische Rhetorik, ist bei Weidel die Selbstdarstellung als Opfer bösartiger Zustände, welche die Etablierten zu verantworten haben. Der angeblich linke Mainstream. Die zwielichtigen Öffentlich-Rechtlichen. All das wird nicht nur im Wahlkampf betrieben als Strategie der herbeigepöbelten Sichtbarkeit einer Partei, die Schlagzeilen machen und Emotionen schüren muss, weil sie sonst ihre einzige Funktion einbüßt: Projektionsfläche für die Wutbürger zu sein. »Endlich macht einmal jemand etwas, endlich bietet jemand die Stirn. Und: Das wird man doch wohl nochmal sagen dürfen.«

Und es ist genau das, was die AfD in einem Strategiepapier als ihre Marschrichtung im Wahlkampf vorgezeichnet hat: auf Provokation und Eklats setzen, die eine Serie von Echos zur Folge haben. Weidels Sprecher Markus Frohnmaier nutzte ein Bild des Abgangs der Politikerin, um auf Twitter der ZDF-Moderatorin zu drohen, sie am 24. September »arbeitslos zu machen«. So produziert ein Eklat schon den nächsten. Neues Futter für die Inszenierungsmaschine der AfD. Natürlich macht auch darüber schon berechtigte Empörung die Runde. Aber wem hilft das?

Der Rechtsaußentruppe wird ihre Strategie der Polarisierung dadurch erleichtert, dass zwischen anderen zu wenig Unterschiede erkennbar sind. Jürgen Habermas hat dazu schon vor einiger Zeit auf das entscheidende Moment hingewiesen: »Der Fehler der etablierten Parteien besteht darin, die Front anzuerkennen, die der Rechtspopulismus definiert: ‚Wir‘ gegen das System.«

Ob nun der Versuch der Assimilation, der in der Übernahme von Rechtsaußen-Forderungen bestehen kann - siehe CSU - oder in der schleichenden Anerkennung der AfD als Kooperationspartner - siehe Sachsen-Anhalt -, oder der immer lautere Aufschrei angesichts der neuesten Grenzübertretung der AfD machen beide, so Habermas, »den Gegner stärker. Beide nehmen ihn ernst und verschaffen ihm Aufmerksamkeit«. Was der Philosoph rät: »Nur die Dethematisierung könnte dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben.«

Wie die etablierte Politik mit den Linken umgeht

Damit freilich kann nicht gemeint sein, die AfD zu verschweigen. Denn das hätte denselben Effekt - eine Art der negativen Aufmerksamkeit, die zumindest die Anhänger und eigenen Reihen festigt. Es müsste schon um demokratische Polarisierung gehen, darum, endlich »politische Gegensätze wieder kenntlich machen«, so Habermas, die Debatte wieder um sachliche Gegensätze zu kristallisieren, endlich wieder sagen können: Wenn ihr die wählt, dann fährt der Wagen in eine ganz andere Richtung.

Und noch etwas anderes müsste endlich verstanden werden: »Parteien, die dem Rechtspopulismus Aufmerksamkeit statt Verachtung widmen, dürfen von der Zivilgesellschaft nicht erwarten, dass sie rechte Parolen und rechte Gewalt ächtet«, so Habermas. Diese demokratische Verachtung aber kann nur dann auch wahrhaftig sein, wenn sie glaubhaft ist - was den Blick auf die Frage lenkt, wie die etablierte Politik mit den Linken umgeht.

Habermas hat den Status quo »das komische, in der alten Bundesrepublik eingespielte Ritual einer zwanghaften Symmetrisierung« genannt, »so als müsse man sich, wenn dann doch einmal von ‚Rechtsextremismus‘ die Rede ist, durch den eilfertigen Hinweis auf einen entsprechenden ‚Linksextremismus‘ einer Peinlichkeit entziehen«. Oder anders gesagt: Wer glaubt denn der CSU diese Distanzierungsforderung, die Scheuer Weidel gegenüber aussprach?

Was also tun? Man wird die Kritik an den Rechtsradikalen nicht aufgeben dürfen. Man wird aber dabei stärker im Hinterkopf haben müssen, dass es zur Strategie der AfD gehört, sich als das »Gegenüber« solcher Kritik zu inszenieren – als Opfer, als letzter Trupp der Wahrheit, als »die anderen«.

Dieser Politik wird nicht in Talkshows das Wasser abzugraben sein, und auch nicht dadurch, dass man über jedes Hakenstöckchen springt, das Gauland dem medial-politischen Betrieb hinhält. Sondern durch das, was Habermas rät: demokratische Polarisierung, echte Alternativen und eine glaubwürdige Verachtung jenes Nährbodens, auf dem ein neuer Faschismus zu wachsen droht.

Frau Weidel übrigens floh nicht vor Marietta Slomkas Fragen oder einem CSU-Politiker. Sie wollte ein Bild hinterlassen: Die AfD distanziert sich nicht von offen rechtsradikalen Politikern. Das wäre auch eine mögliche Schlagzeile. Statt die Opferinszenierung der AfD durch Worte zu reproduzieren, die man nun überall auf den Nachrichtenseiten lesen muss: »Alice Weidel verlässt ZDF-Sendung.« Ist das etwa das Problem?

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.