Die EZB sorgt sich um die Löhne

Weil die Menschen zu wenig verdienen, steigt auch die Inflation nicht

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wird der Chef der der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, nach der Ratssitzung am Donnerstag etwas über den Eurokurs sagen? Immerhin schoss der in der vergangenen Woche auf über 1,20 Dollar hoch. So teuer war die Gemeinschaftswährung seit Anfang 2015 nicht mehr gewesen. Schon beim Notenbankertreffen Ende August im US-amerikanischen Jackson Hole schwieg sich der EZB-Chef über diesen Höhenflug aus. Er hat ihn ja selbst mit ausgelöst.

»Alle Zeichen deuten nun auf eine Festigung und Verbreiterung der Erholung in der Eurozone hin«, sagte Draghi Ende Juni am Schluss einer Rede beim EZB-Forum im portugiesischen Sintra. Mancher Beobachter vermutete, Europas oberster Währungshüter läute nunmehr die Kehrtwende in der Geldpolitik ein und werde demnächst den Geldhahn wieder zuzudrehen. Mit diesen Worten löste er zwar kein so großes Erdbeben wie im Sommer 2012 aus, als er sagte, er werde alles tun, um die Eurozone zu retten. Doch ein kleines Beben folgte schon – und ließ den Eurokurs erst mal in die Höhe schießen.

Es war zudem ein ganz anderes Problem, das Draghi bisher von einer Kehrtwende bei seiner Geldpolitik abgehalten hat: »Er wird auch diesmal wiederholen, was er schon seit längerem sagt: nämlich dass die Lohnentwicklung zu schwach ist«, sagt Silke Tober vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Damit die Kerninflationsrate im Euroraum auf die Zielmarke von knapp unter zwei Prozent steige, müssten die Löhne etwa doppelt so schnell wie derzeit steigen, schätzt die Expertin für Geldpolitik.

Seit dem Ausbruch der Eurokrise kämpft die EZB mit einer zu niedrigen Inflationsrate, die die Gefahr einer Deflationsspirale aus sinkenden Preisen und sinkender Wirtschaftsleistung birgt. Die Notenbanker pumpen deswegen billiges Geld in die Eurozone. Seit Anfang 2016 können sich Banken bei ihr kostenlos Geld leihen, dafür müssen sie aber auch 0,4 Prozent Zinsen auf Einlagen zahlen. Vor allem aber kauft die EZB seit März 2015 im großen Stil Anleihen auf. Derzeit sind dies Wertpapiere in der Höhe von 60 Milliarden Euro monatlich. Mittlerweile beläuft sich das Volumen der Anleihen in den Büchern der Zentralbank auf über zwei Billionen Euro. Da das Kaufprogramm Ende des Jahres ausläuft, muss Draghi bald sagen, wie es weiter gehen soll. Will er es verlängern oder langsam einstellen? Expertin Tober erwartet, dass Draghi zunächst lediglich Andeutungen machen wird und erst im Oktober genaueres verlauten lässt.

Wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Böckler-Stiftung jüngst prognostizierte, werden die Reallöhne in Europa dieses Jahr vermutlich nur um 0,4 Prozent steigen. In Spanien und Italien werden sie sogar sinken. Würden die Löhne stärker steigen, dann hätte die Bevölkerung in Europa nicht nur mehr Geld zum ausgeben, die Inflation würde auch viel direkter angeheizt: Die Unternehmen würden die höheren Lohnstückkosten auf die Preise für ihre Produkte draufschlagen.

Dass dies bisher noch nicht passiert, liegt daran, dass es immer noch schlecht bestellt ist um den Euro-Arbeitsmarkt. Fast fünf Millionen Jobs seien in den letzten dreieinhalb Jahren geschaffen worden, erklärte Draghi im Juni nach der EZB-Ratssitzung in der estländischen Hauptstadt Tallinn auf die Nachfrage von Journalisten. Doch viele dieser Arbeitsplätze seien befristet oder Teilzeit, von »schlechter Qualität«. Zudem sei die Arbeitslosigkeit vermutlich höher als bisher offiziell angenommen. »Es kann gut sein, dass dies den Anstieg der Löhne ausbremst.«

Draghi führt diese Entwicklung letztlich sogar auf die harten Strukturreformen zurück, die die EZB als Teil der Kreditgeber-Troika zusammen mit der EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds in Krisenländern wie Griechenland durchsetzte. Diese Maßnahmen würden dazu tendieren, »ein langsameres Lohnwachstum zu produzieren«, so Draghi. Die Zentralbank konterkarierte mit ihren Forderungen nach harten Austeritätsmaßnahmen also zumindest kurzfristig ihre eigene expansive Geldpolitik.

IMK-Forscherin Tober ist trotzdem optimistisch. Seit geraumer Zeit wächst die Wirtschaft in der Währungsunion wieder und auch die Kerninflationsrate – ohne Nahrungsmittel-, Tabak-, Alkohol- und Energiepreise – zog zuletzt wieder auf immerhin 1,2 Prozent an. »Wenn sich die Wirtschaft so weiter entwickelt, dann werden auch die Löhne wieder steigen«, sagt sie. Bis auch in Sachen Geldpolitik wieder alles zurück auf Normal ist, werde es aber noch lange dauern. Zwar werde die EZB ihre Anleihenkäufe vermutlich relativ bald einstellen, aber der Hauptrefinanzierungssatz werde noch lange sehr niedrig bleiben. Allerdings, vermutet Tober, könnte die EZB schneller als von vielen erwartet den negativen Zins für Guthaben bei ihr in Richtung Null schleusen.

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