Die Erfolgsgeschichte eines Kollektivs

Mit einfachen Mitteln finden die deutschen Basketballer bei der EM den Weg zurück in die europäische Spitze

  • Thilo Neumann, Istanbul
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Kraftakt seines Teams ist Isaiah Hartenstein nicht anzusehen an diesem Samstagnachmittag. Wenige Minuten zuvor haben die deutschen Basketballer den Favoriten aus Frankreich im EM-Achtelfinale geschlagen, nun steht der Jüngste von ihnen in den Katakomben der Sinan Erdem Arena von Istanbul, mit ruhigem Atem und ohne eine Schweißperle auf der Stirn. Denn zum 84:81 (34:40) der DBB-Auswahl konnte der 19-Jährige nicht beitragen - er blieb das komplette Spiel über auf der Ersatzbank.

Doch das sei nachrangig, versichert Hartenstein. »Der Trainer hat sich so entschieden und wir haben gewonnen«, sagt er, »also hat er alles richtig gemacht.« Headcoach Chris Fleming setzte lieber auf die Dienste von Johannes Thiemann, einem kleineren, aber kräftigeren Spieler als Hartenstein. »Diaw und Seraphin bringen ja ein paar Kilo auf die Waage«, so Flemings Begründung nach dem Spiel mit Verweis auf die physische Präsenz der beiden französischen NBA-Stars unter den Körben. Also spielte Thiemann. Er trug mit einer couragierten Leistung seinen Teil bei zum ersten EM-Viertelfinaleinzug einer deutschen Mannschaft seit 2007 - genauso wie Hartenstein, der sich mit seiner Cheerleaderrolle von draußen zufrieden gab. Auch das Reservistendasein muss gelernt sein.

Deutschland bei der EuroBasket 2017, es ist die Erfolgsgeschichte eines Kollektivs. Denn der für viele Experten überraschende Vorstoß unter die letzten Acht gelang den DBB-Korbjägern sicher nicht als talentierteste, dafür aber als vielleicht geschlossenste Mannschaft im Turnier. Auch, wenn mit Aufbauspieler Dennis Schröder einer heraussticht. Der Star von den Atlanta Hawks ist der Anführer des Teams, trägt mit 23,2 Punkten pro Spiel die Hauptlast im Angriff. Für seine Teamkollegen kein Problem: »Es geht nicht darum, dass jeder von uns fünf Punkte macht und am Ende sind alle glücklich«, sagt Center Johannes Voigtmann. »Wir wollen Spiele gewinnen.«

Schröder zahlte das Vertrauen früh zurück: Im Auftaktspiel gegen die Ukraine übernahm er die Verantwortung in der Offensive, legte mit 32 Punkten den Grundstein für den 75:63-Sieg. In den folgenden Partien überzeugte er neben seinen Scoringqualitäten aber auch als Vorlagengeber, Verteidiger oder Motivator von der Bank, wenn Trainer Fleming ihm eine Pause verordnete. »Mir ist egal, ob ich einen Rebound holen, einen Assist geben oder einen Steal machen muss, um ein Spiel zu gewinnen«, sagt Schröder. »Es müssen nicht immer 30 Punkte sein.«

Durch Schröder hat sich das deutsche Spiel weiterentwickelt. Wurde in Zeiten von Dirk Nowitzki der Ball noch oft zum »großen Blonden« gepasst und dann abgewartet, was dieser mit dem Spielgerät anstellt, agiert das DBB-Team im Angriff nun variabler. »Dennis hat als Point Guard eh den Ball viel in der Hand«, sagt Mannschaftskapitän Robin Benzing. »Sein Job ist es, für uns das Spiel zu kreieren. Das unterscheidet ihn von Nowitzki, den wir als Topscorer finden mussten.«

Die Stärke des deutschen Teams liegt aber in der Verteidigung. Assistenztrainer Kai Schiller hat unter Flemings Ägide ein stabiles Defensivkonzept installiert. Dieses lebt von fähigen Individualverteidigern wie Karsten Tadda, der aufgrund seiner wenigen Punkte oft untergeht in der öffentlichen Wahrnehmung. Seine Verteidigungsarbeit gegen die besten Guards Europas entlastet Spieler wie Schröder enorm und verschafft ihnen mehr Luft für die Angriffe. Schafft es der Gegenspieler mal doch an Tadda vorbei, wartet unter dem Korb mit Daniel Theis ein sprunggewaltiger Athlet, der nicht von ungefähr nächste Saison in der NBA bei den Boston Celtics spielen wird.

Teamgeist, Schröder, Defensive: Mit einfachen Mitteln scheint der Weg zurückzuführen in die europäische Spitze. »Basketball verläuft wellenartig«, versuchte sich DBB-Präsident Ingo Weiß nach dem Sieg über Frankreich an einer Erklärung. »Nach der Nowitzki-Ära brauchten wir Zeit, um wieder etwas aufzubauen. Jetzt stehen wir im Viertelfinale, also haben wir wohl alles richtig gemacht.«

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