»Überwachung ist ein Riesenbusiness«

Filmemacher Friedrich Moser über Geheimdienst-Fehler, Open Source Intelligence und die Profiteure von 9/11

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.

In ihrer Doku sagen Sie, dass die derzeitige Terrorjagd nicht funktioniere und kritisieren das Argumentationsmuster, mit dem zum Beispiel die Massenüberwachung begründet wird. Welches Muster meinen Sie?
Das Problem ist doch Folgendes: Die Massenüberwachung hat keinen der Terroranschläge der letzten Jahre verhindern können. Von den Terroranschlägen seit 2005 bis zum letzten vor wenigen Wochen in Barcelona gab es einige Muster, die alle diese Anschläge miteinander verbinden. Erstens: mindestens einer der Attentäter war bereits polizeibekannt oder sonstwie bei den Behörden registriert. Zweitens: Überall wurde elektronische Kommunikation verwendet, meistens unverschlüsselt. Drittens: Es gab in keinem dieser Fälle nur Einzeltäter. Diesen Lone Wolf, von dem Politiker immer schwafeln, den gibt es nicht. Alle diese Täter hatten ein Netzwerk hinter sich, alle hatten eine Geschichte der Radikalisierung hinter sich und alle Täter hatten in ihren sozialen Netzwerken Fußabdrücke der Radikalisierung hinterlassen.

Was heißt das?
Das heißt, wir brauchen überhaupt kein Massenüberwachungsprogramm, es braucht keine Staatstrojaner. Wir brauchen das alles nicht, um Terroristen auffliegen zu lassen. Das ist das Hauptargument meines Films.

Zur Person

Der TV-Journalist und Dokumentarfilmer Friedrich Moser hat über 20 Dokumentationen produziert. Neben TV-Produktionen hat er 2012 die Dokumentation »The Brussels Business« über EU-Lobbyismus veröffentlicht. 2016 erschien »A Good American«. Der Film porträtiert die Arbeit des technischen Direktors der NSA, William Binney, und das von ihm entwickelte »ThinThread«-Programm. In der Doku »Terrorjagd im Netz«, die am heutigen Dienstag auf Arte läuft (20.15 Uhr), kritisiert Moser die aktuelle Terrorfahndung. Mit dem Filmemacher sprach Moritz Wichmann. Foto: Arte

Wie kann die Terrorfahndung im Netz alternativ aussehen?
Ein Weg ist dieses Programm, das ein kleines Start-up in Wien entwickelt hat. Es geht aus von den bekannten sogenannten Gefährdern und analysiert dann deren Netzwerk, ihr Kommunikationsverhalten. Dabei geht es aber nicht so sehr darum, was radikale Islamisten einander erzählen, sondern es geht darum, wer mit wem verbunden ist, es geht um ihre öffentlich einsehbaren Metadaten. Ich glaube, dass die Diskussion, die in Deutschland, Österreich und in den anderen Ländern geführt wird, am eigentlichen Problem vorbeigeht und das mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Das Argument aus dem Sicherheits-Establishment gegen ihre Kritik an der Massenüberwachung wäre »Leute wie Amri oder die Attentäter in Barcelona sind uns nur knapp entwischt, wir brauchen noch mehr Befugnisse und noch mehr Überwachung«. Was würden Sie dem entgegnen?
Nachdem man so viele Fehlgriffe hatte, die immer das gleiche Muster aufweisen, müsste im Geheimdienst-Establishment eigentlich die Einsicht reifen, dass die Massenüberwachung nicht funktioniert. Ich bin für eine wirksame Geheimdienstarbeit. Aber muss man dafür die gesamte Bevölkerung überwachen? Überhaupt nicht! Das ist Unsinn. Ich hoffe, dass mit dem Film eine Debatte über Alternativen zur Massenüberwachung zu starten. Sicherheit entsteht nicht durch die Quantität der gesammelten Daten und Informationen, sondern es ist die Qualität der Daten, die zählt - und die Zeit.

Sie glauben an eine Geheimdienstarbeit, die mit Demokratie und Rechtsstaat vereinbar ist.
Ich glaube, dass man zurückgehen muss auf Prinzipien, die bisher bei der Polizeiarbeit schon funktioniert haben. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach die Gewaltentrennung. Derzeit sind viel zu viele Kompetenzen bei der Exekutive angesiedelt. Parlament und Gericht haben wenig Möglichkeiten, das zu kontrollieren, was die Exekutive bei der Terrorabwehr macht. Das haben wir in Deutschland sehr deutlich beim NSA-Untersuchungsausschuss gesehen, der einfach Akten nicht einsehen konnte, der Akten nur geschwärzt bekam. Und diese Nonchalance, mit der die Dienste mit dem rechtsstaatlichem Instrumentarium, mit der parlamentarischen Kontrolle umgehen, ist sehr gefährlich, sie unterminiert den Rechtsstaat. Doch eine rechtsstaatliche Terrorabwehr ist möglich - die wichtigste Voraussetzung dafür ist Gewaltentrennung. Es muss eine unabhängige Kontrolle der Terrorfahndung geben. Die Kontrolle, auch die technische Kontrolle, kann nicht von Firmen durchgeführt werden, die für diese Dienste arbeiten, sondern muss von Außenstehenden durchgeführt werden, von unabhängigen Experten. Das Stichwort dazu lautet »Privacy by Design«.

Wie sieht eine solche Achtung der Privatsphäre durch »Privacy by Design« aus?
Bei solchen Programmen sind zum Beispiel die Daten verschlüsselt und anonymisiert. Erkennt ein Analyst ein möglicherweise gefährliches Profil eines Menschen, der sich radikalisiert hat, kann er mit Zustimmung und unter Einsatz von zwei weiteren Schlüsseln, die ein Richter und eine unabhängige Kontrollbehörde einsetzen, die Daten einsehen. Das minimiert Missbrauch, etwa durch Geheimdienst-Analysten, die der eigenen Freundin nachspionieren, was vorgekommen ist, wie wir durch die Snowden-Enthüllungen wissen, oder politischen Gegnern. Technisch ist das durchführbar. Die Frage ist, ob die Politik bereit ist, das gesamte Setup, also diese gesamte Konstruktion der Überwachung, derartig zu ändern. Ich denke, das ist etwas, was wir von der Politik verlangen müssen.

Was sie vorschlagen ist eine Netzwerkanalyse des Social-Media Profils von Islamisten. Sie beschreiben das als Open Source Intelligence. Wie unterscheidet sich die von der klassischen Geheimdienstarbeit?
Die Open Source Intelligence unterscheidet sich insofern, als einfach öffentlich zugängliche verfügbare Daten analysiert werden, um Muster zu erkennen. Es ist eben schon erstaunlich, wie treffsicher dieser Ansatz ist - alles kann sie nicht wissen, aber sie kann doch relativ viel rausfinden. Die derzeitige Geheimdienstarbeit hingegen dringt mit dem Hacken von Telefonen, von Accounts stark in die Privatsphäre der Bürger ein.

Gezielte Analyse von bekannten Gefährdern, also eher klassische Polizeiarbeit in computergestützter Form, beschreibt auch ihr Film »A Good American« von 2015. Darin untersuchen Sie das NSA-Programm »ThinThread« und porträtieren den ehemaligen technischen Direktor der NSA, William Binney. Wieso jetzt noch ein weiterer Film zum gleichen Thema?
Binneys selbstentwickeltes und billiges Programm wurde vom NSA-Management zugunsten eines teureren Überwachungsprogramms, von dem viele Akteure des militärisch-industriellen Komplexes profitiert haben, eingestellt: Bei der Arbeit an »A Good American« wurde mir klar: Überwachung ist ein Riesenbusiness. Bei keinem anderen Filmen zur modernen Massenüberwachung, wie etwa »Citizenfour«, kommt dieser kommerzielle Aspekt vor. Schon unter Bill Clinton gab es immer mehr Auslagerung von Militäraufgaben an private Dienstleister, das gleiche passiert beim Thema Überwachung - diese Privatisierung begünstigt das Entstehen eines militärisch-industriellen Überwachungskomplexes. Und das ist keine keine Verschwörung, diese Firmen operieren ja nicht geheim. Sie operieren sogar relativ offen. Man muss sich nur als Journalist die Mühe machen der Spur des Geldes zu folgen.

Sie schreiben über den militärisch-industriellen Komplex, gleichzeitig glauben sie aber nicht an Verschwörungen, etwa im Zusammenhang zum 11. September 2001.
Natürlich war es damals nicht der Wunsch des NSA-Managements, dass es zu diesen großen Anschlägen mit vielen Toten kommt. Man wollte sich einfach bereichern, in dem man sich vom US-amerikanischen Kongress ein anderes, teureres Programm als »ThinThread« genehmigen lies. Diese Geldgier, diese Charakterlosigkeit und diese Unmoral haben letztendlich dazu geführt, dass ein Programm, das die Anschläge verhindern hätte können - wie Dokumente, die jetzt nach und nach veröffentlicht werden - eingestellt wurde. Diese kleine Entscheidung hatte kolossale Auswirkungen, denn 9/11 hat die gesamte Welt verändert. Die vielen Toten durch die Anschläge und ihre Folgen: Das war nicht im Interesse der damaligen NSA-Führung. Was ihr aber sofort in den Sinn kam, war, aus den Anschlägen jede Menge Gewinn zu machen, das eigene Versagen zu vertuschen und ein Riesenbusiness aufzuziehen. 9/11 ist ein Fall von Korruption in höchstem Ausmaß, der sich bis heute für den militärisch-industriellen Überwachungskomplex tausendfach gelohnt hat. Vielleicht sollte man sich den Fall des Anis Amri und den Berliner Anschlag auch mal unter dieser Perspektive genauer ansehen.

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