Offener Brief gegen Entmietung
Hunderte Mieter haben Angst vor Praktiken von Immobilienfirmen der Bahe-Familie
»Wir leben in dauernder Sorge, wie lange und unter welchen Bedingungen wir noch in unseren Kiezen wohnen können.« So heißt es in einem Offenen Brief von über 120 Mietern, unter anderem aus Kreuzberg und Neukölln. Das Schreiben richtet sich an mehrere Politiker, darunter Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD).
Alle Mieter eint, dass sie in Häusern wohnen, die mit der Familie Bahe verbundenen Unternehmen gehören. Andreas, Ludmilla und Walter Bahe - Sohn, Mutter und Vater - betreiben wohl seit Jahren ein einträgliches Geschäft. Sie kaufen offenbar Mietshäuser, teilen sie in Eigentumswohnungen auf und verkaufen sie schließlich für mehr Geld weiter - teilweise für über 5000 Euro pro Quadratmeter. Mieter stehen dieser lukrativen Verwertung im Weg.
Abgewickelt werden die Deals unter anderem durch die ALW Immobilien GmbH. In einer Stellenanzeige auf dem Jobportal Stepstone rühmte sich das Unternehmen, dort nannte es sich sogar ALW-Immobiliengruppe, über 1200 Wohnungen im Zentrum der Hauptstadt zu verfügen. Tatsächlich ist es ein ganzes Firmengeflecht. Zusammen mit dem Steueranwalt Werner Oswald aus dem bayerischen Pfarrkirchen werden beispielsweise die BOW 1, BOW 2 und BOW 3, allesamt GmbHs, geführt. In der bayerischen Heimat lässt sich Oswald für die milden Gaben seiner Familienstiftung regelmäßig feiern. Mehrere Anrufe des »nd« mit der Aufforderung, Stellung zu beziehen, wurden bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht beantwortet.
Rita Keller hat unterdessen von einer Mildtätigkeit bisher nichts mitbekommen. Schon lange wohnt sie, die aus Furcht vor Repressalien ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, in der Lübbener Straße 20 im Kreuzberger Wrangelkiez. Im November 2014 kaufte die BOW 2 GmbH das Haus. Im. Februar 2015 stellte die BOW 2 beim Bezirksamt einen Antrag auf Umwandlung in Eigentumswohnungen - eine Woche, bevor eine neue Verordnung griff, die solche Ansinnen deutlich erschwerte. Für die Mieter änderte sich zunächst nichts. Erst nachdem im Januar 2016 der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg den Antrag auf Aufteilung in Eigentum gezwungenermaßen gebilligt hatte, kam Bewegung in die Sache.
»Am 20. Mai 2016 wurden wir darüber informiert, dass ein Baugerüst aufgestellt wird«, sagt Keller. »Allerdings wurde kein Grund für die Gerüststellung angegeben.« Am Seitenflügel wurde nach ihren Aussagen sogar umgehend ein Gerüst aufgebaut und mit der Anbringung von Balkonen begonnen, ohne dass vorher eine Modernisierungsankündigung erfolgt wäre. An der Rückseite des Vorderhauses wurden zu der Zeit bereits Betonsockel gegossen. »Daraufhin schrieben wir am 28. Juni 2016 an BOW 2, dass wir nicht über Baumaßnahmen informiert worden sind und sie uns bitte bestätigen sollen, dass sie nicht die Absicht haben, Balkone zu errichten«, sagt Keller. Zwei Tage später sei eine Sanierungsankündigung im Briefkasten gelandet. Ab 4. Oktober 2016 sollten Balkone montiert werden, hieß es dort. Eine Woche Frist für die Zustimmung wurde eingeräumt - allerdings sind dafür drei Monate vorgeschrieben. »Wir antworteten, dass die Frist viel zu kurz sei und wir uns rechtlich beraten lassen würden«, sagt Keller.
Die Reaktion kam prompt. »Am Donnerstag, den 14. Juli, wurde plötzlich ein Gerüst an der Rückseite des Vorderhauses errichtet und Elemente zum Anbau von Balkonen geliefert. Die Bauarbeiter haben das Wochenende durchgearbeitet und bis zum Montag waren alle Balkone komplett montiert«, berichtet Keller. Knapp über 50 Euro sollen die Mieter monatlich mehr zahlen für die Wohnungsaufwertung, die sie nicht wollten. Die Balkone messen übrigens exakt 3,99 Quadratmeter. Wären sie größer, gälte das im Milieuschutzgebiet als Luxusmodernisierung, die das Bezirksamt verweigern könnte. Während des Streits um die Maßnahme flatterte Keller noch eine Abmahnung ins Haus. Sie und alle anderen Mieter wurden aufgefordert, im Hausflur abgestelltes Holzspielzeug zu entfernen.
Einige Mieter sind inzwischen ausgezogen, einer Partei wurde wegen verspäteter Mietzahlung gekündigt. Drei Eigentumswohnungen im Vorderhaus wurden verkauft.
Es ist nur eines von vielen Häusern der Bahes. Doch die Geschichten ähneln sich offenbar. »Leerstehende Wohnungen im Haus. 96 Euro Mieterhöhung für ungewollten Balkon mit Blick auf Mülltonnen in super-engem Hinterhof. Dachgeschossausbau und Aufzüge angekündigt. Der Weg ist klar«, wird im Offenen Brief ein Mieter namens Nico zitiert. »Wir erhielten eine Kündigung von der Bahe GbR wegen Eigenbedarfs von Sohn Andreas Bahe (sehr schlecht argumentiert) für unsere Wohnung. An uns wollten sie nicht verkaufen«, schreibt Gabriela. »Zwei Nachbarfamilien haben Eigenbedarfsklagen erhalten, die Wohnungen wurden verkauft. Als letzte Bahe-Mieterin in unserem Haus mache ich mir Sorgen«, erklärt Lioba. In der im Netz veröffentlichten Version des Schreibens wurden Nachnamen und Adressen der Betroffenen entfernt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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