»Gästehaus Moabit« geräumt
Nach eineinhalb Jahren Dauerstreits mussten die letzten fünf Bewohner die Berlichingenstraße 12 verlassen
Die Haustür ist ordentlich verschlossen, die Fenster im Erdgeschoss sind von innen verbarrikadiert. In den oberen Stockwerken sind mehrere Scheiben zersplittert, in einem offenen Fenster weht eine Deutschland-, in einem anderen eine Antifa-Fahne. Ein Mann in Arbeitskleidung schließt die Haustür auf. Er wartet auf den Schädlingsbekämpfer, um die Ratten loszuwerden, mehr will er nicht sagen. Das Haus in der Berlichingenstraße 12 in Moabit steht leer, die Wohnungslosenunterkunft wurde am vergangenen Mittwoch geräumt. Das verkündete Taylan Kurt, der für die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte sitzt, am Sonntag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Polizei bestätigte dies dem »nd« am Montag.
Für Kurt steht der eineinhalb Jahre währende Prozess, der schließlich in die Räumung des »Gästehauses Moabit« mündete, sinnbildlich dafür, »in welchem Zustand die Wohnungslosenunterbringung in Berlin« sei. »Dass sich die Bewohner an diese Bruchbude geklammert haben, zeigt, dass sie keine wirkliche Alternative haben.« Die meisten Wohnungslosenunterkünfte haben lediglich Mehrbettzimmer, Mitbewohner kann man sich nicht auswählen. In der Berlichingenstraße hatten die Bewohner Einzelzimmer - und manche lebten dort rund 20 Jahre. Das sollte nicht sein, mein Kurt. Statt ewig in einer als temporäre Lösung gedachten Unterkunft zu bleiben, hätten Sozialarbeiter und Behörden ihnen längst helfen sollen, eine eigene Wohnung zu finden. Das sei nicht geschehen.
Für ein weiteres Problem hält Kurt es, dass Wohnungslosenunterkünfte als Gewerbe geführt werden. Für solche besteht kein Kündigungsschutz.
Die privaten Eigentümer wollten aus dem Heim ursprünglich eine Asylunterkunft machen. Dem erteilte der Senat aber eine Absage, weil er Geflüchtete nicht gegen Wohnungslose ausspielen wollte. Trotzdem kündigten die Eigentümer dem Betreiber des »Gästehaus Moabit« Ende 2015. Als die Bewohner das Heim im März 2016 nicht wie gefordert verließen, reichten die Eigentümer Klage ein. Im Juli 2017 gab ein Gericht der Klage statt. Dazwischen soll der Eigentümer mit unlauteren Mitteln versucht haben, die Bewohner zum Auszug zu bewegen. Im Winter sollen Gasleitungen im Haus entfernt, der Müll soll nicht mehr abgeholt worden sein. Laut Kurt wurde bereits vor mehreren Wochen das Wasser abgestellt.
Kurt zufolge wurden bei der Räumung nur noch fünf Bewohner angetroffen. Vier seien auf andere Heime verteilt worden, einer habe sich wieder als wohnungslos gemeldet.
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