Sind die Jahre der Rentenkürzung bald vorbei?
Die Altersarmut wird ein bedrohliches Ausmaß annehmen. Neuerdings diskutiert die Politik, was sie dagegen tun kann
Fast zwei Jahrzehnt galt das Paradigma »Sparen«. Eine künftige Bundesregierung könnte nun wieder Geld für die Rente ausgeben.
Grüne und SPD haben im Wahlkampf eine Mindestrente versprochen. Auch Horst Seehofer (CSU) warnte vor »massenhafter« Altersarmut. »Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Politik die Rentenkürzungen übertrieben hat«, sagt der Bremer Sozialforscher Karl Hinrichs. »Sie will die selbst verursachte Altersarmut nun wieder eindämmen.«
Im Jahr 2036 könnten nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 20 Prozent der westdeutschen und 36 Prozent der ostdeutschen Rentner von Altersarmut betroffen sein. Ein Grund ist das Absinken des Rentenniveaus: In den 1990er Jahren lag es noch bei über 70 Prozent. Inzwischen ist es auf 48 Prozent gesunken und kann laut Gesetz bis 2030 auf 43 Prozent gedrückt werden.
Ein zweiter Grund sind gebrochene Erwerbsbiografien und Niedriglöhne. Wer 45 Jahre lang monatlich 2000 Euro brutto verdient, wird eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus erhalten. Der Mindestlohn ändert nichts. Er hebt Monatseinkommen bloß auf 1500 Euro an.
Bert Rürup, Ex-Wirtschaftsweiser und Kopf hinter früheren Renten- und Arbeitsmarktreformen, fordert heute: »Das Rentensystem muss armutsfest werden.« Beschäftigte rutschen inzwischen leichter in Altersarmut. »Auch langfristig konzipierte Rentenpolitik erfordert stets ein Nachsteuern«, befindet Rürup. Im ersten Schritt hätte der Niedriglohnsektor die Konjunktur belebt. Im zweiten Schritt sei nun das Rentensystem auf die Verhinderung von Altersarmut auszurichten. Auch Rürup empfiehlt die Mindestrente. Denn von einer Anhebung des Rentenniveaus, wie es Linkspartei und Gewerkschaften fordern, hätten nach seiner Ansicht etliche Bürger nichts: Viele Beschäftigte sammelten im Erwerbsleben zu wenig Rentenpunkte. Selbst wenn das Rentenniveau auf 70 Prozent stiege, würden Teilzeitbeschäftigte und Minijobber trotzdem keine Rente erhalten.
Das klingt, als hätten die rot-grünen Reformer Altersarmut einkalkuliert, um rechtzeitig etwas gegen sie zu unternehmen. Gerhard Bäcker, Sozialforscher der Uni Duisburg-Essen, lässt das nicht gelten: »Die Reformer haben kritische Stimmen immer ignoriert. Das Lohnargument wurde wie ein Mantra heruntergebetet«, sagt er. Überraschend anders verlief die Debatte in Österreich (siehe Bericht Seite 5).
Inzwischen kündigt die SPD an, die Beitragssätze von 18 auf 22 Prozent zu erhöhen - und bricht damit ein Dogma, meint Bäcker. Auch hat sie sich von der Privatvorsorge in Form der Rieser-Rente, die die Kürzungen bei der gesetzlichen Rente kompensieren sollte, distanziert.
Eine Expertenkommission, wie die CDU sie vorschlägt, könnte nach der Bundestagwahl entscheiden, ob das Paradigma »Sparen« in der Rentenpolitik tatsächlich begraben wird.
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