Untersuchung zum Hochhausbrand

Londons Bevölkerung hat viele Fragen, Richter Moore-Bick will nicht antworten

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Untersuchungstermin im vornehmen Londoner Connaught-Ballsaal: Kronleuchter, viel Blattgold. Wie wahrscheinlich in den millionenteuren Domizilen im Stadtteil South Kensington, wo Ölscheichs, Oligarchen und einheimische Superreiche zu Hause sind. Ein Richter a.D. leitet mit gedämpfter Stimme die Eröffnungssitzung. Feiert die Londoner High Society ein Stelldichein?

Gesichter und Kleidung der meisten Zuschauer sprechen eine andere Sprache. Hier sitzt das hart arbeitende, multikulturelle London, das trotz aller Anstrengungen auf keinen grünen Zweig kommt. Flüchtlinge, Migranten, Überlebende und Angehörige der Opfer der Feuersbrunst vom 14. Juni im Hochhaus Grenfell Tower. Ein dreijähriges Mädchen, ein 82-jähriger Rentner und mindestens 78 andere sind in den Flammen und dem Rauch erstickt, jeder und jede mit eigener Lebensgeschichte, eigenen Hoffnungen. Die Anwesenden im Saal wollen wissen: Warum starben diese Menschen, weshalb hat ein Großteil der Überlebenden noch keine dauerhafte Bleibe, um wieder ein normales Leben anzufangen? »Normal« - für Süd- und Nord-Kensington ein Unterschied wie Tag und Nacht. Im Süden die Reichen, im Norden der Rest. Im verkohlten Hochhaus wurde dieser Tage eingebrochen und gestohlen - wo steckte die Polizei, die den Tatort abzuriegeln hatte?

Vom Leiter der Untersuchung, Sir Martin Moore-Bick, erwarten die Zuschauer Antworten. Der distinguiert aussehende ältere Herr ist höflich, anscheinend des voll des guten Willens. Eine spätere juristische Verfolgung von eventuell Schuldigen sei nicht ausgeschlossen, behauptet er. Aber nein, kein Vertreter der Opfer dürfe dem Untersuchungsteam angehören, das aus fünf weißen Männern besteht. Hier ist die Vielfalt der Londoner Bevölkerung nur unter den überlebenden Opfern präsent. Nein, Moore-Bick wolle keine Fragen beantworten, weder aus dem Zuschauerraum noch von dem berühmten Menschenrechtsanwalt Michael Mansfield. Die da oben hören nicht zu, behauptet vor BBC-Kameras ihr Notar Jehangir Mahmood. Nach der Brandkatastrophe ein katastrophaler Untersuchungsauftakt.

Dabei gibt’s hier Fragen über Fragen, denen Moore-Bick nachzugehen hat. Warum wurde billigeres Verkleidungsmaterial beim Umbau des Wohnsilos angebracht, obwohl die ursprüngliche Empfehlung auf feuerfestes Material lautete? Sind Mieter von Sozialwohnungen zweitklassige Individuen im Vergleich zu den Reichen, die drei Kilometer weiter südlich in Saus und Braus leben? Warum hat die konservative Mehrheit im Rathaus von Kensington und Chelsea bei den Hilfsmaßnahmen bisher so schmählich versagt? Warum besuchte Theresa May anfangs nur die Rettungsteams, ist ihr für die überlebenden Opfer kein Trostwort eingefallen? Sicher trifft sie keine strafrechtliche Schuld, aber im Vergleich zum verständnisvollen, mitleidigen Oppositionschef Jeremy Corbyn und dem Engagement der neuen Wahlkreisabgeordneten, Labours Emma Dent-Coad, hat die Premierministerin menschlich versagt.

Fazit: Nicht nur die Bauarbeiter von Nord-Kensington, auch Sir Martin Moore-Bick muss zum geplanten Ostertermin für seinen Bericht viel Schutt abräumen. Dabei ist ihm besseres Zuhören und mehr Verständnis zu wünschen, als er bisher gezeigt hat.

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