Bautzens Platte darf nicht zur Nazi-Zone werden

Ein Jahr nach der Hetzjagd bleiben antirassistische Ansagen von oben aus, kritisiert LINKE-Abgeordnete Caren Lay

  • Caren Lay
  • Lesedauer: 6 Min.

Samstagabend in Bautzen: »Romeo und Julia - auf Platte«, eine moderne Inszenierung, gespielt von geflüchteten und deutschen Schülern aus Bautzen. Im Saal des deutsch-sorbischen Volkstheaters wird die Aufführung begeistert gefeiert. Das Stück gelebter Integration rührt viele zu Tränen. Auch mich.

Sind Sie überrascht? In Bautzen? Ein Stück aus Bautzen? Ja, Bautzen hat eine aktive Zivilgesellschaft. Menschen die sich für Geflüchtete, für Demokratie und Integration einsetzen. Mehr als in den meisten anderen ostdeutschen Kleinstädten, die ich kenne.

Die meisten von Ihnen werden ein anderes Bild der Stadt haben. Die Bilder vom brennenden Husarenhof, ein geplantes Asylbewerberheim, die Jagd, die 80 Rechtsextreme auf 20 Geflüchtete durch die Bautzner Innenstadt machten, bestimmen bis heute die Sicht auf die Stadt. Das war genau vor einem Jahr. Wie konnte das passieren? Und warum gerade hier?

Täter-Opfer-Umkehr und die Verharmlosung des Rechtsextremismus

Die Szene muss gespenstisch gewesen sein: 80 Rechtsradikale versammeln sich nach und nach auf der »Platte«, dem Platz, auf dem sich in Bautzen alles trifft. Sie bewegen sich auf etwa 20 Geflüchtete zu, die am kleineren Teil des Platzes stehen. Die Polizei erteilt den Geflüchteten - nicht den Neonazis - einen Platzverweis. Wenige Sekunden später jagen die Neonazis die Refugees und ihre Freunde durch die Stadt. Diejenigen, die dabei sind, haben bis heute Angst.

Dass Polizei am nächsten Tag verkündet, die Geflüchteten hätten angefangen, verschlägt mir bis heute die Sprache. Die Angreifer seien alkoholisiert und »event-orientiert« gewesen. Augenzeugen widersprechen dieser Beschreibung. Fest steht zudem: Zuvor wurde auf rechten Internetseiten monatelang Bautzen zur »NS-Zone« und zum »Nazi-Kiez« erklärt - möglichst frei von jungen Asylbewerbern auf der »Platte«. Junge Geflüchtete wurden von den Rechten provoziert, ihnen wurde das Recht abgesprochen, sich auf der Platte aufzuhalten. Der Angriff am Abend des 14.9. war organisiert, viele Beteiligte vermutlich von einem nahe gelegenen rechtsradikalen Sportfest herbei geeilt.

Der stellvertretende Landrat, Udo Witschas (CDU), ging sogar noch einen Schritt weiter als die Polizei. »Unser Land, unsere Regeln« sagt er auf der Pressekonferenz am Tag nach der Hetzjagd, die Sachsen weltweit berühmt machte. »Unsere Stadt, unsere Regeln« heißt es auf einem Internet-Blog der »Nationalen Front Bautzen«. Witschas machte sich damit die Sprache und die Haltung der Neonazis zu eigen. Doch Menschen durch Städte zu hetzen, darf niemals zu einer Regel werden.

Rechtsradikales Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft

Die Hetzjagd hat eine lange Vorgeschichte. Seit Jahren kristallisiert Bautzen sich als Schwerpunkt der rechtsextremen Szene heraus. Und mit der Ankündigung, dass auch Bautzen Geflüchtete aufnehmen muss, bildeten sich zahlreiche Bürgerinitiativen, um genau das zu verhindern. Ein monatelanges, unwürdiges Gezerre - bis schließlich im Stadtrat mit einer knappen Mehrheit das ehemalige Spreehotel als Asylbewerberunterkunft auserkoren wurde. Zahlreiche Angriffe von Rechten auf das ehemalige Hotel waren die Folge. Zu lange hat man die Sache laufen lassen, keine klare Position für Geflüchtete bezogen. Die Geister, die man zu lange hat gewähren lassen, ließen sich nicht mehr einfangen.

Der entscheidende Punkt ist nicht, ob Bautzen mehr Neonazis als andere Städte hat. Bemerkenswert ist, dass rechtes Gedankengut in Bautzen stärker als anderswo in der Mitte der Gesellschaft offen artikuliert wird. Nicht zuletzt die Initiative »Wir sind Deutschland« trägt dazu bei. Und entscheidend ist, dass der Umgang mit Neonazis nirgendwo sonst so unprofessionell war, nirgendwo sonst die Türen weit geöffnet wurden. Auch zum persönlichen Gespräch.

Politiker ließen sich von Rechtsradikalen erpressen

Über die Gespräche Bautzner Politiker mit Rechtsradikalen wird viel berichtet. Was dabei vergessen wird: Sie sind das Ergebnis eines Ultimatums, das Neonazis den Politikern wenige Tage nach der Hetzjagd gestellt haben. Damals kündigten sie eine »vorläufige Ruhepause« an. Die Bedingung: eine »Verbesserung der Situation«, gemeint war, dass es keine »aggressiven Asylbewerber« mehr auf der Platte geben dürfe. Und ein direktes Gespräch zu diesem Zwecke.

Den Anfang machte Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD). Er adelte den Betreiber einer rechtsradikalen Internetseite, den ehemaligen NPD Kreischef Marco Wruck, als Gesprächspartner. Nun, Ahrens ist ausdrücklich zu Gute zu halten, dass er sich heute von Gesprächen mit Neonazis distanziert und klare Worte findet.

Nicht so die CDU. Der Kreisvorsitzende und Landrat Harig traf sich trotz massiver Proteste nach Ahrens' Gespräch selbst mit besagtem Neonazi. Er verteidigt bis heute, dass sein Stellvertreter, Udo Witschas, diesen erst kürzlich zu einem mehrstündigen Kaffeekränzchen eingeladen hatte, als Teil einer - offenbar verfehlten - »Deeskalationsstrategie«.

Das Ergebnis solcher Gespräche: Vor kurzem erhielt einer der jungen Asylbewerber, auf den sich die rechte Szene lange eingeschossen hatte, wegen diverser Ermittlungsverfahren ein Aufenthaltsverbot in der Stadt. Für längst verurteilte Rechtsradikale, und für die Angreifer vom September vergangenen Jahres, von denen noch nicht einmal die Personalien festgestellt wurden, gilt das nicht. Sie gingen straffrei aus und dürfen sich als Sieger fühlen.

Was ist zu tun? Klare Ansagen!

Ein Problem kann man nur dann bekämpfen, wenn man es klar benennt. Ja, es gibt ein Problem mit Rechtsextremen in Bautzen. Eine Aussage die offenbar vielen immer noch schwer fällt - aus Angst das Image der Stadt zu beschädigen, oder, noch schlimmer, weil einigen rassistische Ansichten als »normal« und nicht als rechts erscheinen.

Auch wenn es altmodisch klingt: Eine klare Ansage von oben wäre hilfreich. gerade jetzt, gerade hier. Ja, sie ist die einzige Chance, dass sich die Mitte der Gesellschaft vom Rassismus abwendet, sich endlich aktiver einbringt und Gesicht zeigt. Ein Anfang könnte sein, dass Ministerpräsidenten Stanislav Tillich, der aus dem Landkreis Bautzen stammt, nicht sagt: »Der Islam gehört nicht zu Deutschland«. Dass er stattdessen sagt: »Der Rassismus gehört nicht zu Bautzen, nicht zu Sachsen!«. Eine klare Ansage wäre es, wenn man ihn mal auf der Straße sehen könnte, wenn in Bautzen gegen Rechte demonstriert wird.

Die Zivilgesellschaft, die Aktiven und Engagierten, die sich teilweise bis an den Rand des Burnouts für Geflüchtete und für Integration einsetzen, übernehmen das, was der Staat nicht leisten kann oder schlimmer: nicht leisten will. Sie verdienen all unsere Unterstützung und Anerkennung. Eine klare Ansage wäre die Verleihung der goldenen Ehrennadel der Stadt für jeden, der Geflüchteten hilft und sich Neonazis in den Weg stellt.

Und nicht zuletzt: ein Konzept gegen Rechtsextremismus ist nötig, auch für Bautzen. Das müssen wir jetzt angehen. Nicht im Vertuschen des Problems, sondern darin, es offensiv anzugehen, liegt der Schlüssel. Eine klare Ansage ist: Die Platte darf nicht zur »NS-Zone« der Rechten werden! Denn eines muss klar sein: Ob Lybier oder Deutsche - die »Platte« gehört uns allen.

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