Parade der Identitäten
Die Revue »Roma Armee« im Berliner Maxim-Gorki-Theater verblüfft mit Anachronismen
Nehmen wir an, ein Ensemble ist geformt aus der künstlerischen Sprecherelite der Roma, Kuratoren, Aktivisten, echten Politikern und politischen Performern. Es nimmt die Bemerkung von Hannah Arendt über die Stärke einer Gesellschaft, die sich im Umgang mit seinen schwächsten Gliedern bemesse, zum Anlass, um über ihr in Europa vielfach unterdrücktes Volk zu reflektieren. Es will damit Fairness und Gleichberechtigung einfordern. Wäre im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Petition solchen Inhalts auf die Smartphones der Anwesenden gesendet worden, so hätte wahrscheinlich jeder und jede an der Stelle des »Ja, ich bin dafür« über seine kleine Scheibe gewischt.
Die Künstler, das war schon beim allerersten aufbrausenden Beifall nach nicht einmal einer Minute klar, traten hier vor grundsätzlich zustimmendem Publikum auf, einer Solidaritäts- und Wohlfühl-Crowd. Dass sie vor ihr nun sangen und tanzten, wie dies auch Roma-Künstlergenerationen vor ihnen gemacht hatten, und dass ihnen oft ihre eigenen Werke, wenn sie denn auf Resonanz bei den Gadje, den Nicht-Roma, gestoßen waren, entwendet worden waren, dass ihre Kunst dabei zur Ware geriet - dieses Problem war den Künstlerinnen und Künstlern da auf der Bühne des Gorki immerhin deutlich bewusst.
Lindy Larsson, ein Rom aus Schweden, eröffnete den Abend mit einem sentimentalen Zigeunerlied von Zarah Leander, einer schwedischen Künstlerin, beliebt auch bei der Elite des NS-Staats, der sich die Auslöschung von Sinti und Roma eben auch zum politischen Ziel gemacht hatte. Man saß im Herzen Berlins, nicht allzu weit von den einstigen Planungsstellen des Völkermords entfernt, und hörte die Schnulze der Leander.
Man sah sie auch sterben; Larsson - an der Oper Stockholm interpretiert er einen ganz eigenen Wagnerschen Siegfried - setzte sich hier in Berlin den berühmten Munch-Schrei ins Gesicht, intonierte die tiefe Stimme der Leander, und vollbrachte mit dieser Sterbeszene also einen ganz besonderen skandinavischen Kunstimport nach Deutschland.
Kein schlechter Dreh, eine gute Erwartungsumgehungsgeste. Dann jedoch setzte eine Revue der Eitelkeiten ein, die lange, zu lange, diesen Abend prägen sollte. Die Darsteller dieser Revue präsentierten sich als coole, als hippe Roma, die auch noch schwul oder lesbisch, queer, feministisch, genderoffen und was nicht sonst noch alles waren, nur um sich abzugrenzen, abzuheben von einer als uniform angenommenen Straightness, denen also, denen wegen der Weißheit ihrer Haut, ihrer (möglicherweise) heterosexuellen Vorlieben, ihres männlichen Geschlechts und ihrer sogenannten »biodeutschen« Abstammung (einer Annahme, die von einer allenfalls von AfD-Followern geteilten Blindheit für Europas Migrationsgeschichte gezeichnet ist) stets und überall Vorteile und Privilegien gewährt werden.
Es war eine Parade der Identitäten, bei der sich die Akteure selbst zu überbieten versuchten, und die in Bekenntnissen wie »Ich bin stolz, Rom zu sein« gipfelten. Den gleichen Ton vernimmt man bei AfD und Pegida, nur eben aufs »Deutschsein« bezogen. Abstammung als Leistung - wie reaktionär soll es denn noch werden?
Eine feine ironische Brechung erfuhr diese Parade der eitlen Identitäten, als sich die zwei Nicht-Roma des Ensembles, die israelische Performerin Orit Nahmias und der türkisch-deutsch-arabische Schauspieler Mehmet Ateşçi, erstaunt darüber zeigten, dass sie, die sonst ganz locker Opferidentitäten für sich reklamieren konnten, im Kontrast zu den ebenfalls erzählten Armuts- und Ausgrenzungsgeschichten der Rom zu privilegierten »Weißen« mutierten. Sie waren Verlierer im Opferwettbewerb, nicht ganz so doll Opfer, und deshalb besiegt. Eine Opferrolle in einer Gesellschaft ist relativ, lernte man da. Und seine Identität aufs Opferdasein zu gründen, ein eher gefährliches Unterfangen.
Einen guten, schlauen, und zugleich poetischen Moment gab es an diesem Abend auch noch. Der trat ein, als die klassische kapitalistische Mehrheitsgesellschaft als in die Zukunft rennend und der Vergangenheit den Rücken zuwendend auf die Bühne gestellt wurde, während traditionalistische Gesellschaften, wie eben Roma, die ihr Roma-Sein nicht aufgeben wollen, ihre Augen nur aufs Gestern richten und der Zukunft den Rücken zuweisen. Der Raum der Gegenwart ist dabei von den jeweils abweisenden Rücken begrenzt. Sich umdrehen, sich anschauen, und, die Antlitze der anderen im Blick in die jeweils andere Zeitrichtung schauen, könnte eine prima Lösung sein, suggeriert diese Figurenaufstellung der Regisseurin Yael Ronen, die diesen Abend nach einer Idee der beiden mitspielenden Aktivistinnen Sandra und Simonida Selimovic gestaltete.
Insgesamt war es aber doch viel Glitter, wenig Haut und viel melodisch-feuriger Gesang - die alten Csárdás-Klischees, die schon die Leander benutzte, wurden aufgewärmt. Das Publikum des heutigen, hippen Berlins tobte und jubilierte vor Freude. Auch das ist eine Aussage.
Nächste Vorstellungen: 16., 17. September; 13., 14., 15. Oktober
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