Auf der Automesse IAA hält man zusammen
Industrie, Gewerkschaften und Politik verteidigen nach zwei Jahren Abgasaffäre die umweltschädliche Pkw-Industrie
Zwar deuten die Absage mehrerer Hersteller und Besucherrückgänge in früheren Jahren auf eine Krise der Automobilmesse IAA hin, die seit der westdeutschen Motorisierung zur festen Institution geworden ist. Doch nach wie vor zieht die IAA Massen an. Bis zum vergangenen Sonntag registrierte man immerhin 320 000 Besucher. Auch an Wochentagen stauen sich Menschentrauben vor den Eingängen und lassen vor dem Eintauchen in die bunte und multimediale Glitzerwelt Kontrollen wie an Flughäfen geduldig über sich ergehen.
In den Messehallen sind nach wie vor besonders flotte Sportwagen Publikumsmagneten. Im einzigen Land Europas ohne Tempolimit auf Autobahnen scheinen viele vom Wunsch beseelt zu sein, einmal für ein Selfie am Steuer eines PS-starken Sportwagens zu sitzen, den man sich eh nicht leisten kann. Doch gleichzeitig ist bei dieser IAA der Versuch unübersehbar, das ramponierte Image aufzupolieren. Begriffe wie ökologisch, Umwelt oder nachhaltig springen ins Auge.
Als ökologischer Musterknabe setzt sich der angeschlagene Autobauer Opel in Szene: »Wir sind umweltökologisch. Alle Teile sind recycelbar«, gibt ein Mitarbeiter am Messestand Auskunft. Grüne Topfpflanzen und eine Kletterwand für die Jugend sollen Naturnähe unterstreichen. In den »Umwelt- und Energie-Grundsätzen« schreibt sich Opel den Schutz von Gesundheit, natürlichen Ressourcen und Umwelt »über die gesetzlichen Vorschriften hinaus« auf die Fahnen. »Gegenüber den Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zeigen wir uns nahbar und dialogbereit«, so das Papier.
Es sei »ein Vorurteil, dass junge Menschen kein Interesse mehr am Auto hätten«, meint Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und Cheflobbyist der Autobranche. So richten sich der Fokus der IAA und das Motto der Veranstaltung vor allem auch an die Jugend, die als Kundschaft und Nachwuchs für die Industrie umworben wird. Studierende und angehende Ingenieure sind als Akteure der weiteren Digitalisierung des Kraftfahrzeugs gefragt. Schüler einer Frankfurter Realschule besuchen mit ihrer Physiklehrerin die IAA und sollen im Unterricht ihre Erkenntnisse über moderne Antriebsformen und Umweltfragen vorstellen.
Viele Messestände haben es auf ein junges und elektronikbegeistertes Publikum abgesehen, das hier in Simulatoren in eine »coole Erlebniswelt« eintauchen kann. »Autofahren ist mehr als ein Mittel zum Zweck. Das Auto soll unser Wohnzimmer sein«, heißt es beim Stand des ThyssenKrupp-Konzerns, der längst nicht nur Bleche für Karosserien herstellt, sondern an Elektronik für autonomes Fahren bastelt. Autohalter könnten sich auf dem Weg zur Arbeit oder Freizeit entspannen und schöneren Dingen zuwenden, so das Versprechen. Und wo die Schuldenbremse eine marode Infrastruktur mit Schlaglöchern hinterlassen hat, ist ThyssenKrupp mit seinem »intelligenten Fahrwerk« zur Stelle, das holprige Pisten erkennen und für die Insassen erträglich machen soll.
Unter Insidern sind ökologische Lippenbekenntnisse indes weniger gefragt. Umsomehr weht ein Hauch von Schulterschluss und Großer Koalition durch den Messesaal mit der treffenden Bezeichnung »Harmonie«. Denn harmonisch geht es auch jetzt wieder beim IAA-Symposium von VDA und IG Metall zu. »Nach zwei Jahren des Trommelfeuers von teilweise unberechtigter Kritik an der Industrie hält die überwiegende Mehrheit der Deutschen dem Auto die Treue«, freut sich VDA-Chef Wissmann unter Verweis auf eine aktuelle Allensbach-Umfrage. »Wir halten am Verbrennungsmotor und am Diesel fest«, ruft er und zieht mit einem Feindbild die anwesenden Betriebsräte ins Boot: »Es gibt Leute, die individuelle Mobilität in Frage stellen und zur Dachlatte von Verboten greifen wollen.« Dies abzuwehren vereine Gewerkschaften und Industrie. In diesem Sinne kritisiert auch IG Metall-Chef Jörg Hofmann, dass die Klimadebatte in der EU vor allem von Ländern ohne eigene Autoindustrie vorangetrieben werde und Vorgaben für Elektromobilität ohne Infrastrukturausbau der Stromversorger »fahrlässig« seien.
Ähnliche Töne schlägt auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) an. »Scheinbar populäre Debatten über Mängel der deutschen Autoindustrie« setzten die Grundlagen des Industriestandorts Deutschland leichtfertig aufs Spiel, so Gabriel an die Adresse nicht näher benannter Kritiker. Mit angedachten Fahrverboten in Innenstädten werde »erstmals das Herz der Autoindustrie angegriffen«, beklagt der SPD-Mann.
»Das Auto der Zukunft muss aus Deutschland kommen«, findet Gabriel. Weil die »deutsche Sozialpartnerschaft weltweit als Modell bewundert« werde, sei es an der Zeit, »das deutsche Mitbestimmungsmodell zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe zu erklären«. Gabriels Plädoyer gegen einen »politisch motivierten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor« und sein Bekenntnis zu Subventionen im Sinne einer »aktiven Industriepolitik« scheinen den Betriebsräten im Saal, bei denen ein Blick in die Zukunft Sorgen um die Arbeitsplätze in der Branche auslöst, zu imponieren.
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