Tröten bei hoher Walbeteiligung

Eric Davalala ruft im südafrikanischen Hermanus als »lebende Hupe« die Anwesenheit der Wale aus und gibt sein Wissen über die Tiere an Touristen weiter. Von Stefan Brünjes

  • Stefan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.

Was für ein Traumarbeitsplatz! Die Walker Bay ist eine dieser typisch südafrikanischen Sichelbuchten - weiträumig ausladend mit Endlosblick bis zum Horizont. Aber mal nicht gesäumt von weißem Strand, sondern von dunklen Felsplatten und bis 20 Meter hohen Klippen, überwuchert von Fynbos, dichtem, artenreichem Buschwerk, das nur in dieser Region gedeiht. Hindurch führt hier, vor dem Örtchen Hermanus, ein zwölf Kilometer langer, schmaler Wanderpfad - der Laufsteg des wohl weltweit einzigen Walrufers. Eric Davalala trägt braunen Lederhut, gebügelte Anzughose, blau-weiß kariertes Hemd und darüber ein Sandwich-Poster: Vorne wirbt er - geadelt von der UNESCO - mit der besten Walbeobachtung vom Land aus, hinten drauf stehen alle Aussichtspunkte dafür - von Grotto Beach bis zum New Harbour. Sein wichtigstes Arbeitsgerät hat Eric im Mund - das Kelphorn, eine geschwungene Tröte aus getrocknetem Seetang.

Der 27-Jährige hat zuverlässig hohe Walbeteiligung: Meist die 15 bis 20 Meter langen Südkaperglattwale, aber auch Orcas, Buckelwale oder Delfine, allesamt so nah, dass man sie gut fotografieren kann. Sobald Eric die Giganten in der Bucht erspäht, trompetet er drauflos und zeigt herbeiströmenden Gästen, wo einer der bis zu 80 in der Bucht kreuzenden Moby Dicks gerade Fontänen in die Höhe spritzt oder aus dem Wasser aufsteigt und zurück ins Meer plumpst. »Jährlich von Juni bis November sind die in der Antarktis beheimateten Wale zu Gast in der Walker Bay, um hier in wärmerem Wasser ihre Jungtiere zur Welt zu bringen«, erzählt Eric. Eine Gruppe US-Touristen schnauft in Shorts und weißen Kniestrümpfen den entscheidenden Moment zu spät um die Ecke. Einer von ihnen fragt, ob man die Wale nicht in einem großen Meerespool halten könne, damit Besucher sie immer im Blick hätten. Ob der Mann mit dem Texas-Käppi diese Frage ernst meint? »Durchaus«, raunt Eric, als die Amerikaner sich trollen, »ich wurde auch schon gefragt, warum wir die Wale nicht anbinden.«

Doch den sonnengegerbten Strahlemann bringt das nicht um seine gute Laune - sie war schließlich ein Grund, weshalb er den Job bekam. Ein anderer: Eric kann gut und endlos reden. 250 Euro pro Monat plus Trinkgeld bekommt er dafür. Das zahlt fast jeder, der sich mit Eric fotografieren lässt und dabei auch lernt, wie das südafrikanische »Cheese« heißt, damit wirklich alle auf dem Bild breit lächeln: Einfach lang gezogen »Boerwors« sagen - »Buren-Wurst«.

Doch neben seinen Funktionen als Fotomodell und wandelnde Hupe hat Eric Davalala auch einen Bildungsauftrag. Möglichst viel von seinem Walwissen will er Gästen vermitteln und macht das meistens an den plakatgroßen Schautafeln am Wegesrand. Hier lernen wir etwa, dass die dunkelgrauen Südkaperglattwale sehr menschenfreundlich sind, weswegen sie bis 1970 fast ausgerottet wurden - von Walfängern, die die zutraulichen Tiere allzu leicht abschlachten konnten.

Doch mitten im Vortrag unterbricht Eric, macht dicke Backen und bläst sein Kelphorn: »Da hinten ist eine Walmutter mit ihrem Jungen.« Er rennt los Richtung Ortskern, wir hinterher. Und wirklich: Die Südkapermama liegt ruhig wie ein Mini-U-Boot im Wasser, um sie herum tobt ihr sechs bis acht Meter langer Nachwuchs, angetrieben von übermütig wedelnden, flatternden Flossen. Auch auf den Terrassen der Bars und Restaurants von Hermanus sitzen Gäste wie auf Tribünen mit einem Glas Wein in der Hand und schauen runter auf dieses Walspektakel in der Bucht.

Ja, die Moby Dicks sind allgegenwärtig in diesem 120 Kilometer südöstlich von Kapstadt gelegen 33 000-Seelen-Ort, der sich selbstbewusst »Welt-Walhauptstadt« tauft: Walflossen zieren das Gemeindelogo und Kassenbons, dienen als Parkbankrückenlehnen und Brunnenschmuck. Nicht nur, aber auch, weil eine Handvoll Geschäftsleute Anfang der 1990er Jahre so eine Idee hatte.

Die Damen und Herren meinten nämlich, das etwas verschlafene Hermanus brauche eine einzigartige Attraktion. »Etwas mit Walen«, schlug Jim Wepener vor, »die haben wir doch exklusiv vor der Haustür.« »Ja, warum stoßen wir die Leute nicht mit der Nase drauf?«, meinte Brian Ancketil - »wir sollten keinen Stadtrufer haben wie andere Orte, sondern einen Walschreier!« Und wie dieser auf sich und die Meeresriesen aufmerksam machen sollte, dazu hatte der Ingenieur und Tüftler auch schon eine Idee: »Ein unverwechselbarer, dunkler Sound aus einem Kelphorn - damit haben die von See heimkehrenden Fischer hier früher signalisiert, dass der frische Fang im Hafen angelandet ist.« Brian begann, die angeschwemmten Riesenalgen zu sammeln, bog sie zu Kelphörnern, solange sie noch feucht waren. Einmal in der Sonne getrocknet und ausgehärtet, bemalte er sie und erfand so nicht nur das Markenzeichen des Walrufers, sondern eines der bis heute beliebtesten Souvenirs von Hermanus, liebevoll »Kelperoo« genannt - in Anspielung ans Didgeridoo, das Musikinstrument der australischen Ureinwohner.

Im Jahre 1992 ertönte erstmals die Tröte des Walrufers durch Hermanus. Pieter Claasen, damals Hafenangestellter, hatte den Job übernommen und musste sich in der ersten Zeit von Freunden und Verwandten dafür hänseln und kritisieren lassen, dass er mit einem riesigen Schild um den Hals »wie ein Narr« durch den Ort liefe. Doch die Kritik verstummte schon bald, als der Walrufer eine schöne Fernreise machen durfte, nämlich nach Großbritannien, wo er nicht nur Ehrengast eines alljährlichen Stadtausruferwettbewerbs war, sondern diesen sogar mit seinem Kelphornsound eröffnete. Eric Davalala ist bereits der fünfte Walrufer und zugleich der erste, der nur mit einem einzigen langen Kelperooton auskommt. Seine Vorgänger hatten sich ein spezielles Morsealphabet ausgedacht. Ein langer Ton, gefolgt von einem kurzen bedeutete: Wale vorm Neuen Hafen. Drei kurze Töne hieß: Wale vorm Roman Rock, dem östlichen Ausguck des Klippenweges. Diese Erklärungen standen auf dem Sandwichplakat des Walrufers, doch zeigten Hermanus-Besucher offenbar so erhebliche Vokabelschwächen, dass man auf diese zu komplizierten Signalcodes verzichtete.

Mit ganz besonderen Wal-Versprechen lockt Hermanus jedes Jahr Ende September: Dann steigt das Walfestival, und Besucher können nicht nur mit Eric vom Land aus die Meeresgiganten beobachten, sondern auch aus Booten und Hubschraubern. Mit ordentlich Rummel, Bierzelten, Würstchenbuden und Livemusik auf Bühnen endet das Festival und zwei Monate später dann auch die Freiluftsaison des Walrufers. Von Dezember bis Mai verlässt er seinen Traumarbeitsplatz an der Walker Bay und tauscht ihn mit seinem Büro in der Tourist-Information und Schulklassenräumen, wo er Kindern alles über Wale erzählt. Und sollte doch mal ein Schüler einnicken, trötet er sehr laut ins Kelphorn.

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