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SPD geht in die Opposition
Nach dem Wahldebakel stehen die Sozialdemokraten vor großen Veränderungen
Mit einem erfreulichen Wahlergebnis hat an diesem Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus wohl kaum jemand gerechnet. Am Nachmittag stehen die Genossen hier in kleinen Gruppen zusammen oder sitzen auf Bierbänken, tuscheln und blicken ernst drein. Ein schlechtes Omen sind neben den jüngsten Umfragen auch zwei Wahlplakate vor der Parteizentrale. Hier hat jemand unter den Slogan »Zeit für mehr Gerechtigkeit« in kleiner schwarzer Schrift »mit Euch niemals« geschrieben.
Als um 18 Uhr die Prognosen von ARD und ZDF eingeblendet werden und der rote Balken der SPD bei 20 beziehungsweise 21 Prozent stehen bleibt, sind allenthalben entsetzte Gesichtsausdrücke zu sehen. Ein Raunen geht durch die Reihen. Erschrocken sind viele auch über das Abschneiden der AfD, die bei 13 beziehungsweise 13,5 Prozent liegt.
Erster Applaus ist in dem Moment zu hören, als der Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz um 18.30 Uhr die Bühne im Atrium des Willy-Brandt-Hauses betritt. Er hat den Vorsitz der SPD zu Beginn dieses Jahres in einer sehr schwierigen Zeit von seinem Vorgänger und Freund Sigmar Gabriel übernommen. Im Wahlkampf hat sich Schulz zumindest bemüht, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu kommen und diese von sich zu überzeugen. Das wird von den anwesenden Parteimitgliedern und Funktionären honoriert, die trotzig klatschen.
Bevor sich Schulz dem Publikum stellt, hat er mit anderen SPD-Spitzenpolitikern aus Bund, Ländern und Präsidium in einem Raum in den oberen Stockwerken des Willy-Brandt-Hauses erste Gedanken über die Zukunft der Partei ausgetauscht. Sie sind alle zu dem Schluss gekommen, dass dieses bislang schlechteste Bundestagswahlergebnis für die SPD kein erneuter Regierungsauftrag ist. Sie wollen nun in die Opposition gehen. Den Rücktritt von Schulz soll in der Führungsriege niemand offen gefordert haben. Fraktionschef Thomas Oppermann verkündet in der ARD sogar, dass Schulz »den Erneuerungskurs der Partei« fortsetzen wolle. Nun werde man einen Gegenpol zur CDU bilden.
Vonseiten der Parteifunktionäre heißt es allerdings auch, dass über Personalien am Montag im Vorstand beraten werde. Dann wird es wohl auch um den Fraktionsvorsitz gehen, der in Oppositionszeiten wichtiger sein dürfte als der Job des Parteichefs. Mehrere Medien hatten spekuliert, dass die bisherige Arbeitsministerin Andrea Nahles Ambitionen haben könnte. Auch am Sonntagabend soll ihr Name intern gefallen sein. Obwohl sich die frühere Parteilinke längst in die politische Mitte bewegt hat, könnten auch führende Vertreter des linken Flügels gut mit ihr an der Spitze leben. Doch offiziell halten sich Nahles und andere Protagonisten zunächst zurück. Klar ist nur, dass Schulz nicht die Bundestagsfraktion anführen will.
In den nächsten Tagen wird die Partei auch darüber debattieren, ob sie sich inhaltlich neu aufstellen wird. Nach Ansicht von Schulz scheint es jedoch nicht sonderlich viel Änderungsbedarf zu geben. Er erklärt vor seinen Anhängern, dass die SPD weiterhin für ihre »Prinzipien und Werte« kämpfen und die »offensive Auseinandersetzung mit der AfD« suchen werde. Als Werte der Partei nennt der Vorsitzende »Toleranz, Respekt und Gemeinsinn«.
Hinter und neben Schulz stehen auf der Bühne auch aktuelle und ehemalige Bundesminister und Ministerinnen wie Nahles, Außenamtschef Gabriel und die frühere Familienministerin Manuela Schwesig. »Wir sind stolz auf unsere Erfolge in der Großen Koalition«, verkündet Schulz. Wie so oft in den vergangenen Monaten lobt er den Wohnungsbau, die Rentenpolitik und den gesetzlichen Mindestlohn. Dass die Kompromisse, die seine Sozialdemokraten in den vergangenen vier Jahren bei diesen Themen mit der Union eingegangen sind, die Ziele der SPD verwässert und dazu geführt haben könnten, dass viele ihrer Wähler von der Partei enttäuscht sind, sagt Schulz nicht.
Er sieht die Ursachen für die Wahlschlappe seiner Partei vielmehr in der »Spaltung der Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage«. Einen Teil der sozialdemokratischen Wählerschaft habe man nicht davon überzeugen können, dass man sich um alle Gruppen in diesem Land kümmere. Auch von Sorgen der Menschen, die man ihnen nicht genommen habe, spricht Schulz.
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