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Die sich vernachlässigt fühlen

Eingebildete Ängste, rechte Alltagskultur, undankbare Wähler: der Osten als politische Problemzone

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Die rechtsradikale AfD hat in den nicht mehr ganz so neuen Ländern weit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Sie steht flächendeckend auf dem zweiten Platz hinter der CDU, in Sachsen ist sie stärkste Kraft geworden: 18,6 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, 19,6 Prozent in Sachsen-Anhalt, 20,2 Prozent in Brandenburg, 22,7 Prozent in Thüringen, 27 Prozent in Sachsen. Woher kommt das?

Experten und Politiker suchen am Tag nach dem Erdrutsch nach Antworten. Der frühere brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe verwies auf die ökonomischen Hintergründe: »Besonders in wirtschaftlich schwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und starker Abwanderung ist Ausländerfeindlichkeit verbreitet«, sagte der Sozialdemokrat dem Evangelischen Pressedienst. »Rechtspopulisten nutzen diese Ängste.« Es zeige sich in dem Ostergebnis der AfD »aber auch die unzureichende Sensibilität der Politik und der Medien für die in den Jahrzehnten der Teilung Deutschlands entstandenen Unterschiede zwischen Ost und West«.

Der Leipziger Politikwissenschaftler Hendrik Träger kann einer Erklärung, die vor allem auf die ökonomische Lage abhebt, nicht viel abgewinnen. Für die im Osten teilweise verbreitete »Wahrnehmung, dass für die Flüchtlinge alles getan würde, aber die Einheimischen vernachlässigt würden«, gebe es faktisch überhaupt keinen Grund. »Aber Politik hat eben viel mit der subjektiven Wahrnehmung zu tun.« Träger sieht denn auch ein eher unkonkretes Gefühl der Unzufriedenheit mit den Regierungsparteien - mit »denen in Berlin«. Es gehe AfD-Wählern »in erster Linie um Protest und Unmutsäußerung«.

Im Nordwesten weniger Stimmen für die AfD, im Osten viele

Bei der Amadeu Antonio Stiftung verweist man noch auf einen weiteren Aspekt: das Versagen der etablierten Parteien im Kampf gegen Rechts. Für Geschäftsführer Timo Reinfrank habe die Wahl gezeigt, wie groß das rechtspopulistische Potenzial speziell in Ostdeutschland sei - und wie wenig vonseiten der Politik in Ländern wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt dagegen gesteuert wurde: »Es gab keinerlei politische Auseinandersetzungen um dieses Thema.« Aber Zivilgesellschaft sei nun einmal kein Selbstläufer.

Hier knüpft auch der Leipziger Sozialpsychologe und Soziologe Oliver Decker an - er gab der Sachsen-CDU eine Mitschuld am Ergebnis der AfD im Freistaat. Die CDU habe jahrelang versucht, durch Bagatellisierung und Entpolitisierung rechtsextreme Aktivitäten kleinzureden. »Dadurch wurden sie aber nur größer.« Decker sieht hier einen generellen Mechanismus: Man sehe, dass der Versuch der Union, »sich als die bessere Kopie der AfD anzubieten, sowohl in Bayern als auch in Sachsen nicht von Erfolg gekrönt gewesen ist«.

Angesichts des Abschneidens der AfD wird man jetzt wieder viel über den Osten reden. Die Frage ist, ob eine bestimmte Art dieses Über-den-Osten-Redens nicht auch seinen Teil zu solchen Wahlergebnissen beiträgt. Das mediale und politische Fingerzeigen auf Problemzonen markiert deren Bewohner bloß, ändert aber nichts an den sozialen und auch psychologischen Bedingungen, die man als Teilursache für den Rechtsruck nicht unterschlagen kann. Die Wähler, das kann keine Erklärung verwischen, können aber auch nicht aus der Haftung genommen werden für ihre fatale Wahlentscheidung.

»Wir gehen davon aus, dass es größtenteils eine Protestwahl war«, so analysierte Axel Salheiser von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena der Deutschen Presse-Agentur das AfD-Ergebnis am Montag. Er ist Ko-Autor des Thüringen-Monitors, der jedes Jahr die politischen Einstellungen der Thüringer untersucht – und glaubt nicht an eine längerfristige Bindung der AfD-Wähler an die rechtsradikale Partei. Die allermeisten Ostdeutschen unterstützten zwar die Demokratie als politisches System - viele sähen sie in der Praxis jedoch kritisch. Dies habe seine Ursache auch in der schwierigen Wiedervereinigung inklusive der Strukturprobleme im Osten.

Typisch war im Wahlkampf, wie das Thema Osten von den meisten Parteien auf den letzten Metern »entdeckt« wurde, was womöglich sogar frustverstärkend wirkte. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte, das AfD-Ergebnis zeige, dass sich viele Menschen dort schlecht behandelt, auch emotional deklassiert fühlten - bei Renten, Löhnen und durch unsichere Arbeitsverhältnisse. »27 Jahre nach der Wiedervereinigung hätte das gelöst werden müssen.« Nach Meinung von Ramelow ist das AfD-Wahlergebnis eher Ausdruck von Protest. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte mehr Anstrengungen in ländlichen Regionen. Ganze Landstriche, besonders im Osten, fühlten sich abgehängt.

Dem dürfte der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer nicht ganz zustimmen - er kritisierte die »Undankbarkeit vieler Ostdeutscher« und nannte es eine Beleidigung, dass die AfD durch viele seiner Landsleute gewählt wurde. AfD-Wähler hätten »teils reale, teils eingebildete Ängste«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«: »Sie sollten sich mal vergleichen mit den 140-Mark-Rentnern in der DDR. Und dann sollten sie sich noch mal melden.« mit Agenturen

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