Es grummelt unter Poing
Geothermieanlage beunruhigt Gemeinde bei München - Pumpen nach Beben abgestellt
Inga Moeck wählt einen einfachen Vergleich: Das Erdbeben, das kürzlich Teile der oberbayerischen Gemeinde Poing nahe München erschütterte, sei in etwa so stark gewesen, »wie wenn ein Lastwagen über eine holprige Straße fährt«. Moeck kennt sich aus mit Erdbeben. Sie leitet beim Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) in Hannover die Sektion Geothermik und Informationssysteme.
Ihr Spezialgebiet sind seismische Auswirkungen von Geothermieanlagen. Ein Gutachten aus ihrer Feder im Auftrag des Bergamtes Südbayern nach zwei leichten Beben im Dezember 2016 in Poing war schon fertig, als in dem 16 000 Einwohner zählenden Ort am 9. September wieder Gläser im Schrank klirrten. Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) sah sich nach Beschwerden besorgter Einwohner zum Handeln gezwungen. Er forderte den Betreiber der fünf Jahre alten Anlage auf, vorerst kein heißes Wasser mehr aus der Tiefe zu holen. Tatsächlich schaltete die Bayernwerk AG die Pumpen ab - vorübergehend, wie der Energieversorger betont.
Die Region um München ist wegen ihrer geologischen Beschaffenheit prädestiniert für die Erdwärmenutzung. Im Molassebecken stehen zwei Drittel aller 33 deutschen Geothermieanlagen. Aus bis zu 5000 Metern Tiefe wird heißes Wasser an die Erdoberfläche gepumpt, zum Heizen oder zur Stromerzeugung genutzt und abgekühlt zurückgeleitet.
Das neue Beben von Poing hatte wie die beiden vorausgegangenen auch die Magnitude 2,0 - das logarithmische Maß für die seismische Energie eines Erdbebens. Zum Vergleich: Das Beben der Vorwoche in Mexiko hatte die Magnitude 7,1. Für Moeck ist jedoch nicht die Stärke ausschlaggebend, sondern was davon an der Erdoberfläche ankommt. Die Expertin verweist auf die DIN-Norm 4150-3 für Erschütterungen im Bauwesen, wonach Böden maximal fünf Millimeter pro Sekunde vibrieren dürfen. In Poing seien es mit rund 1,6 Millimetern deutlich weniger gewesen - »ein absolut unbedenklicher Wert«, so Moeck.
Doch sie sagt auch: »Die Sorgen der Bevölkerung sind berechtigt.« Die Menschen müssten unterscheiden lernen, »was ist gefährlich und was ist nicht gefährlich«. Sogenannte Mikrobeben, wie sie in Poing auftraten, hält Moeck für ungefährlich. Trotz immer verfeinerter Messtechniken lasse sich aber nicht restlos klären, ob die Minibeben in Verbindung mit der Geothermie stehen.
Eine mögliche Erklärung könnte laut Moeck sein, dass das Gestein im unmittelbaren Bereich der Anlage sehr durchlässig ist, weiter davon entfernt hingegen eine deutlich geringere Durchlässigkeit hat. Es könne dort zu einem Wasserstau kommen, der Druck erzeugt. »Der Druck kann aber nicht so hoch werden, dass starke Beben entstehen«, versichert Moeck.
Auch der Erdbebendienst der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hält einen Zusammenhang zwischen den Erdbeben und der Geothermieanlage für möglich. »Es ist ein bisschen wahrscheinlich«, sagt Joachim Wassermann, Leiter der Abteilung Seismologie des Geophysikalischen Observatoriums der LMU.
Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet in der Woche nach dem jüngsten Poinger Beben in München die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Geothermie stattfand. Natürlich wurde dabei auch über Poing gesprochen. Moeck war gefragte Gesprächspartnerin der Geothermiebranche. Verbandspräsident Erwin Knapek forderte eine sachliche Diskussion über die Mikrobeben. »Die Anlage in Poing hätte nicht zwingend abgeschaltet werden müssen«, meinte der Ex-Bürgermeister von Unterhaching, wo seit 2007 ebenfalls heißes Wasser aus der Tiefe geschöpft wird. Er fügte aber hinzu: »Politisch war es richtig, um kurzfristig wieder mehr Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen.«
Bayerns Staatsregierung setzt auf die Nutzung der Erdwärme. »Die Tiefengeothermie spielt für die Energiewende in Bayern eine wichtige Rolle«, sagt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Tatsächlich ist der Freistaat deutschlandweit führend in der Erdwärmenutzung. Von derzeit bundesweit 33 Tiefengeothermieanlagen stehen 21 in Bayern, 15 weitere sind in Planung oder werden gebaut. Aber: »Bei allen Ereignissen im Zusammenhang mit der Geothermie steht die Sicherheit im Vordergrund«, heißt es im Ministerium. »Auch kleinere Vorkommnisse müssen intensiv untersucht werden.«
Das bei der Regierung von Oberbayern angesiedelte Bergamt Südbayern will nun die für Oktober erwarteten Ergebnisse des Gutachtens von Moeck abwarten, ehe es über mögliche Konsequenzen für den Betreiber nachdenkt. Und auch die Bayernwerk AG entscheidet erst danach, ob sie die Pumpen in der Geothermieanlage von Poing wieder einschaltet. dpa/nd
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