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Einigkeit auch in der Spaltung
Frauke Petry und Marcus Pretzell wollen die AfD demnächst verlassen / Weidel und Gauland zu Vorsitzenden gewählt
Ob alle neuen Abgeordneten erscheinen? Nervöser als sonst war Alexander Gauland am Dienstagvormittag dann doch, als sich die frisch gewählte Bundestagsfraktion der Rechtsaußenpartei zu ihrer ersten Sitzung in Berlin traf. »Wir werden den Zählappell jetzt machen«, verkündete der AfD-Parteivize. Das Ergebnis dürfte dem Fraktionschef in spe mit einer gewissen Genugtuung erfüllt haben: 93 Neuparlamentarier waren laut Angaben eines AfD-Sprechers anwesend, womit klar wurde, dass bis auf Frauke Petry niemand der konstituierenden Sitzung ferngeblieben war.
Ohnehin schien Gauland die große Mehrheit der Neuparlamentarier auf seiner Seite zu haben. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass der 76-Jährige gemeinsam mit Alice Weidel gewählt wurden. 80 der 93 Abgeordneten simmten für das Duo. Weitere Kandidaten für die Fraktionsführung gab es nicht. Zuvor hatte die Fraktion in mehrstündigen Debatten eine Satzung beschlossen.
Im 200 Kilometer von der Bundeshauptstadt entfernten Dresden drehte die Parteichefin derweilen die Eskalationsspirale mit einem gezielten Dreh weiter: Einen Tag nach ihrer Entscheidung, nicht Teil der Bundestagsfraktion werden zu wollen, kündigte sie an, auch aus der AfD auszutreten. »Klar ist, dass auf Dauer dieser Schritt wohl auch erfolgen wird«, erklärte sie nebulös und hielt sich den Termin für einen Vollzug offen. Sicher ist: Petry verließ noch am Dienstag die sächsische AfD-Landtagsfraktion, vollzieht diesen Schritt allerdings nicht alleine. Mit ihr gemeinsam erklärten der Parlamentarische Geschäftsführer Uwe Wurlitzer sowie Vizefraktionschefin Kirsten Muster ihren Austritt aus der Fraktion. Dass die beiden zu Petry halten, war spätestens am Montag klar geworden. Neun von 14 Landtagsabgeordneten hatten sich in einer Erklärung zur AfD und gegen Petry bekannt, nicht aber Wurlitzer und Muster.
Die Austrittsankündigung war indes sorgsam orchestriert: Fast zeitgleich mit Petry verkündete Marcus Pretzell, der unter anderem AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen ist, der Partei zum Ende der Woche den Rücken zu kehren. Ihm folgen will der Landtagsabgeordnete Alexander Langguth. Der Entschluss beruhe »ausschließlich« auf seiner »nicht sehr optimistischen Einschätzung der Entwicklung der AfD«, so Pretzell.
Petrys Ehemann folgt mit dieser Begründung jener Erzählung, mit der die Noch-Parteichefin seit Monaten im innerparteilichen Machkampf gegen die völkischen Nationalisten um Alexander Gauland und Björn Höcke streitet. Kern dieser Auseinandersetzung ist die Frage, wie schnell sich die AfD auf mögliche Koalitionen mit anderen Parteien einlassen soll. Petry wollte dieses Ziel bereits innerhalb einer Legislaturperiode im Bundestag erreichen, was aber gleichzeitig eine verbale Abrüstung und weniger Provokationen nötig machen würde. Nicht nur Gauland geht diese zu schnell, auch wenn er Koalition für die Zukunft ebenfalls nicht ausschließen will.
Unklar ist weiterhin, ob Petry und Pretzell die Gründung einer neuen Partei anstreben, wie seit Monaten spekuliert wird, wenngleich sich die Hinweise verdichten. Erst am Wochenende hatten sich vier Landtagsabgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern aus Kritik an der Radikalisierung von der AfD losgesagt und die neue Fraktion »Bürger für Mecklenburg-Vorpommern« gegründet, um künftig Sachpolitik betreiben zu können. Der Schritt sei länger geplant gewesen. Nicht nur darin sind sich die Abtrünnigen im Nordosten mit Petry sehr ähnlich.
In der AfD-Parteispitze gab sich die Führung weiterhin betont gelassen. Co-Chef Jörg Meuthen begrüßte den angekündigten Parteiaustritt seiner Ko-Vorsitzenden Petry. »Ich halte den Schritt für folgerichtig und angesichts dessen, was war, für unvermeidlich«, sagte er am Dienstag dem Radiosender Hitradio Antenne 1 in Stuttgart. Auch Sachsen-Anhalts AfD-Landeschef André Poggenburg hieß Petrys Schritt ebenfalls gut. »Wer Alleingänge machen möchte, sollte das außerhalb der AfD tun«, sagte das Vorstandsmitglied vom völkisch-nationalistischen Flügel in Magdeburg. Petrys Ankündigung habe ihn nicht überrascht.
Bartsch: Jubel über Austritte aus AfD ist verfrüht
Trotz unübersehbarer Verwerfungen bei der AfD ist nach Ansicht von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch eine langfristige Strategie im Umgang mit der Rechtsaußenpartei nötig. »Jubel über den Austritt Einzelner halte ich für verfrüht - so überraschend kommt das alles nicht«, sagte Bartsch am Dienstag in Berlin. Bartsch sprach von einer »historischen Zäsur« durch den AfD-Erfolg. »Es ist auch unsere Aufgabe, die Auseinandersetzung im Parlament zu führen, aber noch viel mehr darum zu werben, dass Menschen, die sich jetzt für diese Partei entschieden haben, einen anderen Weg gehen«, sagte Bartsch. »Das wird langfristig sein.« mit Agenturen
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