Industriepolitik bei der Kanzlerin

Siemens Mobility und Alstom sind auf Fusionskurs / Kritiker in Frankreich warnen vor Jobverlusten und Ausverkauf

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gerüchte, dass die beiden Mischkonzerne Siemens und Alstom über eine Fusion ihrer Bahntechnikzweige verhandeln, gab es schon länger. Doch erst vor wenigen Tagen kam die offizielle Bestätigung, als Alstom Gespräche über eine »Annäherung« der Sparten einräumte. Dann ging es ganz schnell: Am Dienstag berieten der Aufsichtsrat von Siemens und der Alstom-Verwaltungsrat - Ergebnisse waren bis Redaktionsschluss nicht veröffentlicht worden.

Wie es heißt, wurden die Sitzungen der Aufsichtsgremien extra auf einen Termin nach der deutschen Parlamentswahl anberaumt. Die Politik ist nämlich involviert in die Verhandlungen. Vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron weiß man, dass er die Achse Paris-Berlin auch industriepolitisch stärken will. Darum hat er seinen Botschafter in Berlin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt, um ihr die Idee einer solchen deutsch-französischen Fusion schmackhaft zu machen, wie die Zeitung »Les Echos« berichtete. Der Vorstoß kam wohl nicht zuletzt deshalb, weil seit Monaten auch über eine Fusion von Siemens Mobility mit dem kanadischen Konkurrenten Bombardier verhandelt wird - eine solche Perspektive hätte die Franzosen ins Abseits manövriert.

Mit staatlicher Hilfe

Der einstige Mischkonzern Alstom SA ist heute praktisch nur noch im Bereich Schienenfahrzeuge für den Fern- und Regionalverkehr sowie U-Bahnen und Straßenbahnen aktiv. Das 1928 gegründete Unternehmen hat seinen Sitz in Levallois-Perret bei Paris. Im September 2003 wurde Alstom vom französischen Staat mit Milliardenhilfen vor der Insolvenz gerettet. Dieser wurde dadurch Großaktionär – später übernahm der Baukonzern Bouygues den Staatsanteil. Alstom hat Tochtergesellschaften in 100 Ländern und ist u.a. am größten russischen Zughersteller Transmashholding beteiligt.

In Deutschland fahren über 1200 Coradia-Regionalzüge, Alstom ist hier auch in der Wartung und Instandhaltung aktiv. In Niedersachsen entwickelt und baut das Unternehmen den weltweit ersten brennstoffzellenbetriebenen Regionalzug in Serienreife.

uch die Siemens-Sparte Mobility stellt alle Sorten von Schienenfahrzeugen her, ist zudem ein wichtiger Anbieter von Bahninfrastruktursystemen. Große Produktionsstätten hat man in Erlangen, Krefeld und Wien. Auch in Russland, Indien, China und den USA ist man mit Werken vertreten. nd

Siemens und Alstom hingegen könnten den Kern eines europäischen Gemeinschaftsunternehmens vom Typ Airbus bilden. Wie von Macron gewünscht, könnten Frankreich und Deutschland ihre Rolle als »Motor« der vertieften europäischen Integration übernehmen. Außerdem könnte sich wohl nur so der alte Kontinent noch auf dem Weltmarkt der Bahntechnik ganz vorne behaupten, nachdem die beiden größten chinesischen Hersteller von Loks und Waggons mit staatlicher Unterstützung 2015 zum Konzern CRRC fusionierten. Dieser weist einen Jahresumsatz von 32 Milliarden Euro aus und gewinnt mittlerweile auch reihenweise internationale Ausschreibungen wie Metro- oder S-Bahn-Projekte in Sao Paulo, Boston oder Chicago, in Kenia oder Tschechien. Die Chinesen kooperieren eng mit den großen Anbietern aus Westeuropa, Nordamerika und Japan und haben so von deren Know-how profitiert.

In eine Eisenbahnehe würde Siemens seinen aktuellen Jahresumsatz von 7,8 Milliarden Euro, Aufträge im Wert von ebenfalls 7,8 Milliarden Euro und 27 100 Beschäftigte einbringen. Bei Alstom wären es 7,3 Milliarden Euro Umsatz, Aufträge in Höhe von 10 Milliarden Euro sowie 32 800 Beschäftigte. Die Mitarbeiter beiderseits des Rhein machen sich verständlicherweise Sorgen wegen des nach einer solchen Fusion üblichen Personalabbaus. Auf mittlere Sicht könne »nicht alles gehalten werden«, da es Synergien geben werde, sagte Claude Mandart von der Gewerkschaft CFE-CGC. Außerdem wüssten die Deutschen »ihre Industrie besser zu schützen als die Franzosen«.

Diese Bedenken versuchen die Direktionen beider Konzerne zu zerstreuen, indem sie versichern, dass sich die Aktivitäten nicht überschneiden, sondern perfekt ergänzen. Die eigentlichen Probleme dürften daher nicht in den Werkstätten, sondern in den Verwaltungsetagen liegen, wo es durchaus Doppelstrukturen gäbe.

2014 war übrigens schon einmal eine Fusion zwischen Siemens und Alstom erwogen worden - damals ging es nur um den Bau rollenden Materials. Da diesmal auch die hochmoderne Signaltechnik mit eingebracht werden soll, wird stark damit gerechnet, dass Siemens für sich die Kapital- und die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat beanspruchen wird. Im Pariser Élysée scheint man sich damit schon abgefunden zu haben, denn man hat in diesem Zusammenhang einer Kapitalaufstockung bei Alstom zugestimmt, wobei der Kauf der neuen Anteile für Siemens reserviert sein soll. Dafür weist man im Stab Macrons stolz darauf hin, dass der Firmensitz sowie das Forschungs- und Entwicklungszentrum des Gemeinschaftsunternehmens in Frankreich liegen würden und an der Spitze zumindest für die kommenden vier Jahre der jetzige Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge stehen soll.

Für Kritiker der Fusionspläne ist all das hingegen nur ein weiterer Schritt auf dem Weg des industriellen Ausverkaufs Frankreichs. Sie erinnern daran, dass in den letzten Jahren schon die Energiesparte von Alstom Energie an General Electric aus den USA abgestoßen, Alcatel vom finnischen Nokia-Konzern übernommen wurde und der Zementproduzent Lafarge von seinem Schweizer Konkurrenten Holcim. In Kürze droht STX in Saint-Nazaire, Frankreichs letzte Großwerft, an die italienische Konkurrenz zu gehen. In umgekehrter Richtung fällt den Franzosen nur ein einziger Fall ein: die Übernahme der General-Motors-Filiale Opel durch den französischen Autokonzern PSA Peugeot Citroën.

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