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Marktplatz Jamaika
Bei den anstehenden Sondierungen für eine Koalition haben CDU, CSU, FDP und Grüne unterschiedliche Vorstellungen und einiges zu verlieren
Eine erste Gemeinsamkeit der potenziellen Partner zeigt sich immerhin schon: Die Jamaika-Koalition fordert allen Beteiligten ein Höchstmaß an Fantasie ab. Wortgleich haben sie alle es schon formuliert: Grünen-Parteichef Cem Özdemir, der Liberale Christian Lindner, CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Ihnen fehle die Fantasie sich vorzustellen, wie ein solches Bündnis funktionieren solle. Groß bis übermächtig sind die personellen wie die inhaltlichen Hindernisse. Man kann sich schwer vorstellen, wie Horst Seehofer und Katrin Göring-Eckardt sich auf eine gemeinsame Einwanderungsstrategie verständigen oder der bayerische Innenminister Joachim Herrmann mit dem Grüne-Parteilinken Jürgen Trittin auf ein gemeinsames Freiheitsverständnis. Nachdem sich die SPD allerdings einer erneuten Großen Koalition strikt verweigert hat, bleibt nur die Jamaika-Koalition, weil die AfD als Regierungspartner bislang für keinen infrage kommt und als letzte Alternative nur eine Neuwahl bliebe.
Alle Parteien mit Ausnahme der CDU, die dies in Erwartung des Wahlsieges nicht für nötig hielt, haben im Wahlkampf ihre Bedingungen für eine künftige Regierungsbeteiligung genannt und wiederholen diese nun eifrig, um nicht voreilig Boden preiszugeben. Allerdings bleiben viele Forderungen beim genaueren Hinsehen ausreichend allgemein, um sich Verschiedenes darunter vorzustellen. »Sicherheit und Ordnung« sowie »Vollbeschäftigung und Gerechtigkeit« seien die Bedingungen der CSU für Koalitionsgespräche, sagte am Montag Horst Seehofer. »Wir werden nur mit Parteien koalieren, die diese beiden Begriffspaare in unserem Sinne auch realisieren.« Selbst die Schwesterpartei CDU pflegt zusammenzuschrecken, wenn die CSU Lösungen »in unserem Sinne« verlangt. Und die CSU will vor allem auch auf einer Obergrenze für Flüchtlinge bestehen, was neben FDP und Grünen bisher bereits die CDU von Angela Merkel strikt verweigert.
Die CSU hat ihren Bayernplan, FDP und Grünen haben jeweils einen Zehn-Punkte-Plan mit Vorstellungen einer Regierungsbeteiligung in der Tasche. Die im Wahlkampfpathos formulierten Vorhaben sind nicht einfach übereinanderzulegen, können nicht direkt verglichen werden. Und sie sind interpretierbar, dürften mit unterschiedlicher Dringlichkeit und Priorität betrachtet werden.
Klimaschutz, für die Grünen Thema Nummer eins
Für die Grünen ist der Klimaschutz Markenkern, hier können sie sich große Zugeständnisse kaum erlauben. Das ist angesichts des Dieselskandals und des von der US-Regierung infrage gestellten Pariser Klimaschutzabkommens aber ein heißes Eisen, weil viele Unwägbarkeiten die Erfolgsaussichten der eigenen Ziele relativieren. In ihrem Wahlprogramm treten die Grünen dafür ein, ab dem Jahr 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr neu zuzulassen. Die CSU wiederum will keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem ein Enddatum für den Verbrennungsmotor festgehalten ist. Die Liberalen halten erst recht nichts von einem Verbrennungsmotorenverbot. CDU-Chefin Merkel sieht den Verbrennungsmotor als eine Brückentechnologie an, betont aber immer wieder, dass deren Ende noch längst nicht absehbar sei. Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir deutete immerhin bereits an, dass die Vorstellungen seiner Partei samt dem angestrebten Ausstiegsdatum 2030 für Benziner und Diesel nicht durchsetzbar sein könnten, da man ja nicht allein regieren werde.
20 schmutzige Kohlekraftwerke
Die Grünen wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abschalten - »damit Deutschland das Klimaschutzziel 2020 noch erreichen kann«. Bis 2030 soll Deutschland ganz aus der Kohle aussteigen. Das vorhandene Bekenntnis der Union zu einem Ausstieg aus der Braunkohle bleibt dagegen vage, zur Festlegung auf ein Datum lässt sie sich nicht hinreißen. Christian Lindner widersprach heftig den Vorwürfen der Grünen, die Pariser Klimaziele nicht zu unterstützen. Allerdings widerspreche die FDP als Partei des Wettbewerbs, des schlanken Staates und des freien Unternehmertums aller Art von Zwang und Nötigung der Wirtschaft. Es gehe darum, die Politik »den physikalischen Realitäten anzupassen«, heißt es im Wahlaufruf. Bei genauerem Hinsehen sind beide Positionen nicht kompatibel, weil allgemeine Bekenntnisse zum Klimaschutz noch nie zu Veränderungen in der Wirtschaft geführt haben. Man wolle eine »Trendwende von der planwirtschaftlichen Energiepolitik hin zu Innovation und Wettbewerb«, so die FDP.
Bestimmt kein Veggie Day
»Die essen auch Fleisch«, antwortete FDP-Vize Wolfgang Kubicki auf eine Frage nach Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Bekanntlich reagieren manche Grüne beim Thema Ernährung und nachhaltiger Landwirtschaft empfindlich. In ihrem Wahlprogramm hat die FDP keinen eigenen Schwerpunkt beschlossen. Das könnte unerwartete Schwierigkeiten bringen, wenn die Grünen ihre Vorstellungen zur Massentierhaltung und gegen Agrarindustrieproduktion unterbringen wollen. Die Union steht als Widerpart ohnehin fest, sie vertritt die Position der traditionellen Bauern. Ein großer Konflikt, aber vielleicht kein unlösbarer. Den Grünen ist noch in böser Erinnerung, wie unwillig die Wähler auf ihren Vorschlag zu einem »Veggie Day«, einem vegetarischen Tag in öffentlichen Kantinen, reagierten. Unter anderem er war es, der ihnen den sicher erwarteten Wahlerfolg bei der Bundestagswahl 2013 verhagelte.
Obergrenze und liberale Einwanderung?
Schwierig wird es gewiss, wenn es um Flüchtlings- und Einwanderungspolitik geht. Für das größte Konfliktpotenzial sorgt hier die CSU. Nach der Wahl verkündet sie nun in neuer Lautstärke, dass es eine Regierungsbeteiligung ohne Festlegung der Koalition auf eine Obergrenze für Flüchtlinge nicht geben werde. Schon bei der Führung der CDU findet Horst Seehofer mit seiner Forderung nach einer Festlegung auf 200 000 Flüchtlingen pro Jahr bisher keine Gnade. Nach dem Einbruch der Christsozialen hat Seehofer diese Forderung nun prompt auf den Tisch gebracht. Die Grünen lehnen eine Flüchtlingsobergrenze strikt ab. »Mit uns gibt es keine Grundgesetzänderung für eine Obergrenze beim Asylrecht«, heißt es in ihrem Wahlaufruf.
Bisher machte die Kanzlerin wenig Anstalten, der Schwesterpartei in diesem Punkt entgegenzukommen. Allerdings hat man mit Österreich ein Beispiel vor Augen, wie der Streit zumindest halbwegs elegant gelöst werden kann - unter Hinnahme eines erneut gelockerten Grundrechts, aber gleichzeitiger Wahrung der formalen Rechtsnormen. Die Österreicher haben zur »Wahrung von Ordnung und Sicherheit«, die der EU-Verfassungsvertrag den Mitgliedsstaaten in nationaler Verantwortung überlässt, eine »Quasi-Obergrenze« ins Gesetz geschrieben, ohne den Begriff zu verwenden. Ordnung und Sicherheit werden darin ab einer bestimmten Zahl »irregulärer« Zuwanderer als bedroht definiert. Damit ist eine Obergrenze festgelegt, ohne dass das individuelle Recht auf Asyl damit beendet würde. Auch wenn die Grenze überschritten wird, gilt internationales Recht weiter. Gleichwohl ist Flüchtlingen damit ein Stoppsignal entgegengehalten, und internationalen Rechtsstandards wurde ein langfristig wirkendes Gift injiziert. CSU-Chef Seehofer fordert von der CDU-Führung derzeit die Festlegung auf einen gemeinsamen Kurs. Gemeint ist damit auch die Obergrenze. Falls er seinen Plan bei Merkel durchsetzen kann, wird die Obergrenze auch das Problem von FDP und Grünen. Zwischen CDU und CSU wäre ein fauler Kompromiss wie der österreichische womöglich denkbar, die Grünen hätten in einem solchen Fall allerdings viel zu verlieren. Und auch die FDP lehnt die Obergrenze bisher als einen klaren Rechtsverstoß ab.
Ein weiterer Konflikt ist bereits abzusehen: In den Unionsparteien wird eine Verlängerung des Familiennachzugsverbots für Kriegsflüchtlinge diskutiert, der eigentlich nur noch bis März 2018 gilt. Die Grünen wollen die für zwei Jahre ausgesetzte Familienzusammenführung hingegen danach wieder ermöglichen. Hier lauert Potenzial zum Gesichtsverlust.
Die Grünen sind sich immerhin mit der FDP trotz deren im Wahlkampf ebenfalls geäußerter harter Töne pro Abschiebung darüber einig, dass Deutschland ein Einwanderungsgesetz brauche. Im Detail unterscheiden sich die Vorstellungen, beide Parteien befürworten jedoch ein Punktesystem zur Steuerung der Arbeitsmigration. Differenzen dürften nicht unüberwindlich sein. Dies gilt auch, wenn es um Bürgerrechte und den Widerstand gegen schärfere Sicherheitsgesetze auf Kosten des Datenschutzes geht.
Steuern oder Umsteuern
In der Steuerpolitik gibt es Schnittmengen der vier Parteien. Versprechen, die Bürger über Steuersenkungen zu entlasten, standen im Wahlkampf nicht im Mittelpunkt. Das Bekenntnis zur Besserstellung von Beziehern geringer und mittlerer Einkommen findet sich hingegen in den Programmen aller Parteien, in mehr oder weniger deutlichen Worten. Den »Soli« abzuschaffen, versprechen ebenfalls alle. Problematisch wird es, wenn es um Belastungen hoher Einkommen, Erbschaften und Vermögen geht. Die CSU schließt erneut jegliche Steuererhöhungen aus und gibt sich als Schutzmacht für vermögende Firmenerben. Strittig sind auch das Ehegattensplitting und die Besteuerung von Kapital- und Zinserträgen - Stich- und Reizwort Abgeltungsteuer. Wie weit die Grünen mit ihrer Vorstellung einer Bürgerversicherung für alle kommen, wie weit mit ihrer Vorstellung, Arbeitgeber wieder paritätisch an der Finanzierung des Gesundheitssystems zu beteiligen, ist angesichts der geballten Gegenmacht dreier Parteien mit wenig Verständnis für die Rücknahme einstiger rot-grüner neoliberaler Verfehlungen leicht auszumalen.
EU-Europa, Kontinent mit Stolperfallen
Rote Linien formulierte Christian Lindner nach der Wahl: Solche seien für die FDP ein Verbot des Verbrennungsmotors, wenn es zu keinem Einwanderungsgesetz käme und schließlich: »Rote Linie heißt Schuldenvergemeinschaftung«. Immer wieder hat Lindner im Wahlkampf auf eine noch kompromisslosere Durchsetzung der Euro-Regeln gegenüber Schuldnerstaaten gedrängt. Verhandlungen mit Frankreich und anderen Euro-Partnern über eine Reform der Eurozone werden mit den Liberalen nicht einfacher. Sie sind darin eher mit der CSU auf einer Linie, Grüne und CDU stehen auf der anderen Seite. Einen Erfolg von Präsident Emmanuel Macron bei seinen neoliberalen Arbeitsmarktreformen in Frankreich wünschen sich alle Beteiligten. Einen gemeinsamen Haushalt der Euro-Zone lehnt die FDP aber ab. Die EU-Verträge wollen die Liberalen ändern, damit für ein Land bei einem Euro-Austritt nicht automatisch die EU-Mitgliedschaft erlischt.
Ergo: Eine Jamaika-Koalition ist alles andere als gewiss, die Verhandlungen sind voller Unwägbarkeiten. Auch wenn das Wohl des Landes ein hehres Motiv liefert - es geht auch um den Schaden, der den Parteien droht, wenn sie sich zu leicht verkaufen. Was ein Grund sein mag, dass CDU-Chefin Merkel Gespräche mit FDP und Grünen ankündigte - zugleich aber den Wunsch aussprach, auch mit der SPD reden zu wollen. Mit dpa
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