- Klima und Wandel
- UN-Klimakonferenz
Wir wollen totale Gerechtigkeit
Alberto Acosta fordert eine weltweite Allianz der sozialen Kämpfe im Kampf gegen den Klimawandel
Der Kampf zur Verteidigung des Planeten und damit des Lebens breitet sich über alle Kontinente aus. In verarmten Länder, in den reichen Ländern, überall wächst der Widerstand, gedeiht der Aufbau von Alternativen. Die Zivilgesellschaft organisiert sich, rebelliert gegen die Umweltzerstörung, ausgelöst durch die verschiedenen Extraktivismen.
Eine Umweltzerstörung, die begleitet wird von immer mehr gesellschaftlicher Verarmung in den ausgebeuteten, ausgeraubten Weltregionen. All das inmitten eines wahnsinnigen Wettlaufs, hinter einem Geist und seinem Schatten her, was wir Fortschritt und Entwicklung nennen.
Dieses brutale Rennen, bei dem das Ideal des »Fortschritts« das Streben nach Profit und Macht innerhalb der modernen kapitalistischen Gesellschaften verdeckt, gefährdet das Leben. So wissen wir, dass die Folge der Förderung aller fossiler Brennstoffe ein Abschlachten der Natur bedeuten würde. Wir wissen auch, dass wir zwischen 70 bis 95 Prozent der CO2-Emissionen einsparen müssen, um das zu verhindern. All das aber scheinen Nachrichten zu sein, die auf taube Ohren stoßen.
Wenn sich im November in Bonn die nächste UN-Klimakonferenz versammelt, wird die Welt diese Fragen wieder diskutieren. Eine gute Gelegenheit zur Vertiefung des Themas Klimawandels. Und um das Thema weiter zu politisieren. Letzteres ist dringend vonnöten. Um es mit Bertold Brecht zu sagen, ist der schlimmste Analphabet der politische Analphabet. Jemand der nicht hört, nicht spricht, nicht am politischen Geschehen teilnimmt, der nicht weiß, dass die schwerwiegenden und wachsenden Umweltveränderungen von Entscheidungen in der Politik abhängen. Der Dumme, der mit stolzer Brust und Wut im Bauch sagt, dass er die Politik hasst. Zu diesen Dummen muss man auch jene zählen, die den Klimawandel zu einem »chinesischen Märchen« (Trump) erklären, und die nicht wissen (oder wissen sie es doch?), dass ihre Ignoranz die Kassen der großen Unternehmen füllt, deren apokalyptisches Galopp die schwersten Umweltzerstörungen hinterlässt.
Die Durchführung des Klimagipfels in Bonn macht Untragbarkeit der ökologischen Situation und Armut in einigen Staaten mehr als deutlich. Die Konferenz kann nicht von dem Land ausgerichtet werden, das die turnusmäßige Präsidentschaft innehat: Die Fidschi-Inseln. Ein Inselstaat im Pazifik mit »begrenzten technischen, finanziellen und personellen Fähigkeiten«, wie es im diplomatischen UN-Jargon heißt. Fidschi ist eines der Länder, die in Gefahr schweben vom Ozean verschluckt zu werden. Allein dieser Umstand sollte Nachdenken und Handeln auslösen, weil diese Folgen des Kapitalozäns soziale, wirtschaftliche und ökologische Konflikte hervorbringen, und immer mehr gewaltsame Vertreibung auslösen.
Wenn sich in der alten deutschen Bundeshauptstadt Bonn die Vertreterinnen und Vertreter aller Länder der Welt treffen, muss man feststellen, dass Länder wie Deutschland, die auf der internationalen Bühne als »Vorbilder« vorgestellt werden, die großen Verursacher der globalen Umweltprobleme sind. Die reichen Länder sind die größten Nachfrager nach Rohstoffen, die unter hohen sozio-ökologischen Kosten in allen Ecken der Erde gefördert werden. Ein Beispiel für die Verantwortung der Länder des Nordens ist ihre Unfähigkeit der Kohleverbrennung ein Ende zu bereiten, so wie es die Kampagne der Zivilgesellschaft »Ende Gelände« will. Diese Kampagne kämpft gegen die Ausweitung des Braunkohleförderung im Rheinland, in der Nähe von Bonn liegt der größte Braunkohletagebau in ganz Europa. »Ende Gelände« ist ein leuchtendes Beispiel für Widerstand gegen Umweltzerstörung.
In Bonn wird es seitens der Zivilgesellschaft Aktionen für die Einrichtung eines internationalen Systems zur Bestrafung von Umweltverbrechen gegen die Mutter Erde und ihre Verteidiger und Verteidigerinnen geben. Schon vor einigen Jahren wurde das Internationale Gericht für die Rechte der Natur gegründet. Ein Tribunal, das in Peru, Australien, USA, Ecuador und Frankreich getagt hat. Dieses Mal wird über den Bergbau in Deutschland diskutiert, sowie über die Risiken des Extraktivismus für den Amazonas-Regenwald. Über falsche Energielösungen gegen den Klimawandel (Atom, Fracking, Erdöl), über den Straßenbau im Naturreservat TIPNIS in Bolivien, über Wasserknappheit und Umweltverbrechen der Industrie in Spanien, die Folgen von Freihandel, das Betrugssystem des UN-Waldschutzprogramms REDD, Menschenrechtsverletzungen gegen Umweltaktivisten in den USA, Russland, Französisch-Guyana und anderen Breitengraden.
Solange Menschenleben für den Machterhalt einiger weniger geopfert werden, geht der Widerstand weiter. Es gibt die Aktivistinnen und Aktivisten von »Ende Gelände«, es gibt die »Yasunidos« in Ecuador, der Widerstand von Standing Rock in den Vereinigten Staaten, alles Vorbilder für die globale Rebellion. Dazu kommen Aktionen der indigenen Völker im Amazonas, den Anden oder Indien, der Anwohner des Niger-Deltas. Gegen die große kapitalistische Maschine und ihre falsche Demokratie entsteht eine riesige Welle zivilgesellschaftlichen Ungehorsams, die Gerechtigkeit einfordern in Politik, Wirtschaft, Geschlechterverhältnissen, Ethik, Klima. Eine totale Gerechtigkeit.
Übersetzung: Benjamin Beutler
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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