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Graswurzelarbeit gegen Studiengebühren
Längst gibt es eine Renaissance der pauschalen Abgabe an Hochschulen - die neuen Protest herausfordert
Längst waren Studiengebühren totgeglaubt, doch offenbar gibt es noch Lebenszeichen. Jüngst bemühte sich das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) eindringlich um Reanimationsmaßnahmen: Weil etliche Fachbereiche an deutschen Hochschulen immer weniger Geld zur Verfügung hätten und insbesondere die Lehre aufgrund steigender Studierendenzahlen finanziell nicht gut ausgestattet sei, müsse mehr Geld in die Bildung investiert werden, so das arbeitgebernahe Forschungsinstitut. Das aber will nicht den Staat, sondern die Studierenden zur Kasse bitten.
Dass sich das Institut in guter Gesellschaft befindet, zeigen entsprechende Bemühungen in den einzelnen Bundesländern: Im Mai beschloss die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg, dass Studierende aus Nicht-EU-Ländern ab dem Wintersemester 1500 Euro pro Semester zahlen müssen. Ein ähnliches Modell sieht auch die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor.
Grund genug, um zum Gegenprotest aufzurufen. Das Bündnis »Lernfabriken … meutern! - Bildung ist anders« traf sich am vergangenen Wochenende in Hannover zu einem Vernetzungsforum. Dabei ging es in Plena und Workshops neben Autorität und Demokratie auch um soziale Ausgrenzung im Bildungssystem - die durch die Wiedereinführung von Studiengebühren gefördert wird. »Wir haben auf der Konferenz einen Zwölf-Punkte-Plan erstellt«, sagt Bündnissprecher Sandro Philippi. So fordert das Bündnis etwa, Noten abzuschaffen, Ausbildungen nach gesetzlichem Mindestlohn zu bezahlen und die Abschaffung von Ausbildungsgebühren. Im April 2018 soll es dazu die nächsten großen Protestaktionen geben.
Widerspruch ist besonders deshalb nötig, weil die Gefahr besteht, dass zukünftig auch in anderen Bundesländern wieder Studiengebühren eingeführt werden. Insbesondere die FDP ist ganz vorn dabei, wenn es um die Erhebung von Beiträgen geht. Schon im Bundestagswahlkampf forderten die Liberalen, »dass Hochschulen nachgelagerte Studienbeiträge erheben sollen«. Zwar sind für Bildungspolitik die Länder zuständig, doch angesichts einer bundesweit erstarkten FDP ist die Umsetzung des Bundesvorhabens auch nach den nächsten Landtagswahlen längst nicht ausgeschlossen.
10,7 Prozent erhielt die FDP bei der Bundestagswahl. Und auch in den Ländern befinden sich die Liberalen im Aufwind. In Niedersachsen, wo am 15. Oktober gewählt wird, ist unter Umständen sogar eine schwarz-gelbe Koalition möglich. Nächstes Jahr folgen die Landtagswahlen in Bayern und Hessen: In Bayern ist die absolute Mehrheit für die CSU gefährdet, eine schwarz-gelbe Koalition ist denkbar. In Hessen hätte die schwarz-grüne Koalition aktuell keine Mehrheit, jedoch Jamaika. Die Liberalen könnten in Zukunft also wieder in einigen Landesregierungen sitzen.
Sollten auch andere Ländern in Zukunft wieder Gebühren erheben, könnte der Gegenwind umso stärker werden. Das haben die 2000er-Jahre gezeigt, in denen viele Bundesländer Studiengebühren einführten, was zu massiven Protesten führte. Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreik gingen 2009 an einem Tag fast 300 000 Menschen auf die Straße. Und auch in Baden-Württemberg ist es in diesem Jahr bereits zu Protestaktionen gekommen. Landesweit gab es Demonstrationen, in Freiburg wurde das Audimax besetzt.
Nach Ansicht von Philippi gibt es aber einen bedeutenden Unterschied zu den früheren Protesten: »Die aktuellen Studiengebühren spalten eher die Studierenden, weil sie nicht für alle gelten. Deshalb ist es momentan schwierig, Großdemonstrationen auf die Beine zu stellen.« Das Bündnis lege daher den Fokus zunächst darauf, mit kleineren Aktionen auf sich aufmerksam zu machen und Verständnis für die Probleme im Bildungssektor zu schaffen.
»Es gibt in der Protestszene derzeit großen Unmut«, führt Philippi fort. So seien die Freiburger Besetzer unzufrieden gewesen, weil sie ihr Ziel nicht erreicht hätten. Auch nach der Besetzung der HU Berlin, die sich gegen die Absetzung von Andrej Holm als Berliner Bau-Staatssekretär wandte, sei die Enttäuschung groß gewesen. Zudem sei die FDP heute »ein schwierigerer Gegner als früher, weil sie ihr neoliberales Programm besser verkauft«.
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