Der Hass ist direkter und brutaler

Der deutsche Fußball hat noch immer ein Rassismusproblem. Trotz aller Kampagnen wollen das viele Vereine an der Basis aber nicht wahrhaben

  • Lisa Forster, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Vier rassistische Vorfälle im Schnitt zählt Alon Meyer pro Monat bei Spielen seines jüdischen Sportverbandes Makkabi in Deutschland. Der Präsident berichtet von Beschimpfungen als »Drecksjude« oder Sprüchen wie »man gehöre vergast«. Die Vorfälle seien nicht ungewöhnlich und zeigen, dass Antisemitismus in manchen Teilen der Fußballkultur in Deutschland bis heute verankert sind.

40 Ortsvereine unterschiedlicher Sportarten mit rund 4500 Mitgliedern gehören zu Makkabi. Nur etwa die Hälfte der Spieler ist jüdisch. »Wir sind multikulturell«, sagt Meyer. Doch das interessiert rechtsextreme Fußballfans nicht. Sie benutzen das Wort »Jude« als Schimpfwort - und das nicht nur bei Makkabi. Dass zuletzt deutsche Fans beim Länderspiel der Nationalmannschaft in Prag Naziparolen durchs Stadion grölten, war für den Fanforscher Robert Claus keine Überraschung. »Bei Länderspielen haben antisemitische Vorfälle eine lange Tradition«, berichtet er. »Rechte Hooligans sehen das als nationale Machtdemonstration.«

Auch hierzulande ist das Problem von den Bundes- bis in die Amateurligen nicht verschwunden. »In den Bundesliga-Stadien wurde der Rassismus zwar stark zurückgedrängt«, sagt Florian Schubert, Mitglied im »Bündnis aktiver Fußballfans«. Der Politologe und Sportwissenschaftler hat aber beobachtet, dass er bei manchen Vereinen insbesondere auf den An- und Abfahrtswegen zum Stadion nach wie vor ausgelebt wird. So kenne fast jeder Anhänger das »U-Bahn-Lied«, in dem Fans der gegnerischen Mannschaften vor und nach Auswärtsspielen mit einer U-Bahnfahrt nach Auschwitz gedroht wird. »Das hat tendenziell sogar wieder zugenommen«, sagt Schubert.

Er erzählt von seiner jüngsten Erfahrung im April beim Spiel des SV Babelsberg gegen Energie Cottbus. »Mindestens 150 vermummte Cottbuser Fans versuchten, das Spielfeld zu stürmen, einigen gelang es. Zweimal liefen sie zur gegnerischen Kurve, zeigten den Hitlergruß und sangen: ›Arbeit macht frei, Babelsberg 03‹«, berichtet Schubert. Die Babelsberger Anhänger antworteten ihrerseits mit »Nazischweine-raus«-Rufen. Fans beider Vereine zündeten zudem Pyrotechnik, das Spiel musste zwei Mal unterbrochen werden.

Cottbus musste später 6000 Euro Strafe zahlen, für Babelsberg fiel sie mit 7000 Euro noch höher aus. Dessen Präsident Archibald Horlitz sprach von einem »Skandalurteil« und kündigte den Gang vor ein Zivilgericht an. In einem offenen Brief an DFB-Präsident Reinhard Grindel forderte er zudem, dass der Deutsche Fußball-Bund seine gesellschaftspolitische Verantwortung übernehmen und den Streit klären solle.

Rechtsextreme Fans sind auch bei Alemannia Aachen, 1860 München, Eintracht Braunschweig und Borussia Dortmund dokumentiert - und bei vielen weiteren Vereinen. Auf der anderen Seite gibt es ehrenamtliche antirassistische Faninitiativen, die sich wehren. In Cottbus und Aachen mussten sich diese aber vorübergehend auflösen, weil sie von Rechten bedroht wurden.

Das Bundesinnenministerium resümierte 2016, dass sich antisemitische Vorurteile im Fußball meist direkter und brutaler offenbaren als in anderen Milieus. Das liege nach Auffassung von Fanforscher Claus daran, dass es im Fußball ein klares Feindbild gebe, ein »Wir gegen die Anderen«-Gefühl, das den Gegner abwertet. »Gleichzeitig ist der Fußball emotional sehr aufgeladen«, sagt er. »Und es gibt die anonyme Massendynamik, in der man sich gut verstecken kann.«

Der DFB unternehme einiges gegen Rassismus, meint Claus. »Er finanziert soziale Arbeit mit Fans, verleiht Preise für Engagement gegen Diskriminierung und veranstaltet eigene Fachtage.« Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland am Donnerstag in Belfast (nach Redaktionsschluss) kündigte Grindel schärfere Zugangsbestimmungen in europäischen Stadien an, um Eklats zu vermeiden. »Die große Herausforderung besteht aber darin, alle Gremien, Landesverbände, Teams, Ligen und Spieler zu erreichen«, sagt Claus. »Hier bleibt viel zu tun.«

»Es muss eine stärkere Sensibilität entstehen«, fordert auch Alon Meyer vom Makkabi. Trainer und Betreuer müssten den Spielern klarmachen, dass unsportliches Verhalten nicht toleriert werde. Die üblichen Strafenkataloge der Mannschaften könnten außerdem nicht nur das Zuspätkommen zu Training und Spielen sanktionieren, sondern auch rassistische Beleidigungen.

Die Vereine sollten das Problem nicht einfach ignorieren, sagt auch Schubert. »Es gibt immer noch zu viele Vereine, die sich bei Antisemitismus oder anderen diskriminierenden Vorfällen wegducken, es nicht wahrhaben wollen«, sagt er. »Würden sie sich dem Problem stellen, könnte man anfangen zu handeln.« dpa/nd

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