US-Demokraten auf Kurssuche
Nicht nur im Weißen Haus fehlen nach der Wahl die politischen Erfolge
Nach den wiederholt gescheiterten Versuchen der Republikaner will US-Präsident Donald Trump jetzt mit den Demokraten beim Ersatz für »Obamacare« kooperieren. Er habe den Chef der Minderheit im Senat, Charles Schumer, am Freitag gefragt, ob die Demokraten »eine großartige Gesundheitsreform« erreichen wollten, teilte er auf Twitter mit. Schumers Antwort: Wenn Trump »zusammenarbeiten will, um das existierende Gesundheitssystem zu verbessern, dann sind wir Demokraten offen für seine Vorschläge«.
Seine Partei steckt nach Hillary Clintons Niederlage in schmerzlicher Selbstfindung. Inhaltlich geht es darum, ob die Demokraten weiter einen Mitte-Rechts-Kurs verfolgen oder aber sich stärker um die wirtschaftlich-sozialen Sorgen der »kleinen Leute« kümmern, was namentlich der linke Senator und vorjährige Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders, aber auch die als kommende Präsidentschaftsbewerberin geltende Senatorin Elizabeth Warren fordern.
Auch diese Namen zeigen jedoch, dass die neuen Sterne der Demokraten die alten sind. Die Partei hat kaum Nachwuchs herangezogen. Und statt Entwürfe für die Zukunft vorzulegen, beschäftigt man sich weiter mit der Vorjahrswahl: Hätte Sanders siegen können, verlor Hillary wegen Frauenfeindlichkeit, und wie groß war Russlands Einfluss?
Das Magazin »Time« spricht von einem »Dilemma der Demokraten«. Oberflächlich ist die Partei in ihrem ungeteilten Abscheu für Donald Trump geeint. Doch sobald man tiefer gräbt, ist sie in vielen Fragen gespalten - von Freihandel über Krankenversicherung bis zum Umgang mit Wall Street und der Außenpolitik. Gleichermaßen gespalten ist sie in der Frage, ob es taktisch ratsam sein könne, mit Trump einzelne Vereinbarungen zu treffen, wie zuletzt nach dem Massaker von Las Vegas angesichts des Dauerversagens bei der Eindämmung der privaten Schusswaffenepidemie.
Auch die politisch-parlamentarische Handlungsbasis der Demokraten ist schwächer geworden. Die Partei sieht sich ihren größten Herausforderungen gegenüber, seit Ronald Reagan bei der Präsidentenwahl 1984 insgesamt 49 Bundesstaaten gewann. »Time« bilanziert: Im Kongress stecken die Demokraten in der tiefsten Krise seit 1946, und mit lediglich 15 von 50 halten sie die wenigsten Gouverneursämter seit 1922. In Obamas achtjähriger Präsidentschaft verlor die Partei 970 Sitze in den Abgeordnetenhäusern und Senaten der Bundesstaaten. Das Durchschnittsalter ihres Führungspersonals im Kongress liegt bei 67 Jahren, und viele der derzeit denkbaren Bewerber um die Präsidentschaft 2020 werden dann 70 und älter sein.
Parteistratege Neil Sroka sagt: »Die Demokraten sind sich völlig einig, wogegen sie sind. Die einzige Nichtübereinstimmung besteht in der Frage, wofür sie sind.« Die größte Bereitschaft zum Bohren auch dicker Bretter zeigt Bernie Sanders, ein Jahr nach den Wahlen noch immer zugkräftigster Politiker in der Debatte um den Kurs der Demokraten. Bezeichnenderweise ist die Attraktion der Demokraten gar nicht Parteimitglied. Seine Ankündigung, 2018 eine dritte sechsjährige Amtszeit im Senat anzustreben, will er erneut als Unabhängiger verwirklichen. Sein erklärter Schwerpunkt ist die Gesetzesinitiative für eine staatliche Einheitskrankenkasse (»Medicare for All«). Sie geht über Obamacare hinaus und beruht auf dem Grundsatz, Gesundheitsversorgung ist ein Recht und kein Privileg. In Zeiten republikanischer Kontrolle im Parlament gibt es dafür keine realistische Chance. Doch Sanders schreckt das nicht ab. Er weiß, dass gerade dieses Projekt besonders langen Atem braucht.
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