Alle gegen Tihange
Um das belgische Atomkraftwerk gibt es weiter Streit / NRW fordert Abschaltung
Die Debatte um das belgische Atomkraftwerk Tihange unweit der Grenze zu Deutschland spitzt sich zu. Am vergangenen Wochenende scheiterten Gespräche zwischen Gegnern des Atomkraftwerks und der Betreiberfirma Electrabel M. V. Nucleaire Produktie. Diese hatte Verschwiegenheit gefordert. Die nordrhein-westfälische Politik stellt sich nun an die Seite der AKW-Gegner und forderte Electrabel am Mittwoch im Landtag ebenfalls zu mehr Transparenz auf.
Alle Parteien, bis auf die AfD, verstärkten mit Anträgen den Druck auf den Kraftwerksbetreiber. Die Regierungsparteien CDU und FDP stellten mit den in der Opposition befindlichen Grünen sogar einen gemeinsamen Antrag. Die SPD hatte einen eigenen erarbeitet - mit ähnlichem Inhalt: Die Landesregierung in NRW soll sich dafür einsetzen, dass die nächste Bundesregierung sich für die Abschaltung von Tihange einsetzt. NRW soll mit einem Ausbau des Stromnetzes dabei helfen, dass in Belgien auch ohne Atomkraftwerke Versorgungssicherheit bestehe. Walter Schumacher vom Bündnis »Stop Tihange« reicht das nicht. Er fordert ein Exportverbot von Brennelementen nach Belgien.
Die Proteste kommen nicht aus dem Nichts: Im Juni hatten sich 50 000 Menschen an einer länderübergreifenden, 90 Kilometer langen, Menschenkette gegen die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel beteiligt. Gerade das grenznahe AKW Tihange bereitet den Menschen im Aachener Raum und im gesamten Rheinland Sorgen. Schon vor Jahren wurden Risse im Bau festgestellt. Studien über die Folgen eines Reaktorunglücks sagen verheerende Folgen für die ganze Region voraus. Electrabel wiegelt allerdings ab. Die Risse seien beim Bau des Kraftwerks entstanden und zudem unproblematisch. Um auf die Tihange-Gegner zuzugehen, hatte Electrabel als Reaktion auf die Menschenkette ein Treffen vorgeschlagen. Das verlief aus Sicht der Initiative »Stop Tihange« allerdings äußerst unbefriedigend.
Aktivisten aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden waren am Sonntag zusammengekommen, um mit Electrabel Informationen auszutauschen. Nach nur einer Stunde war das Treffen allerdings schon wieder vorbei. Anti-Atom-Aktivist Schumacher aus Aachen sagte gegenüber »nd«, dass »alle Vorurteile« gegen Electrabel bestätigt wurden. Der AKW-Betreiber habe sich »arrogant und selbstgefällig« gezeigt. Fragen, ob der Energiekonzern die Laufzeit der Kraftwerke möglicherweise verlängern wolle, seien nicht beantwortet worden. Technische Dokumente, die Wissenschaftler, die den AKW-Gegnern nahestehen, gerne eingesehen hätten, wurden von Electrabel verweigert beziehungsweise Unterschriften unter Verschwiegenheitserklärungen gefordert. Schumacher fragt sich daher auch, was »Wissenschaftler uns oder der Öffentlichkeit denn zu den Schäden der AKW sagen könnten, wenn sie vorher eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müssen«. Electrabel nennt Sicherheitsaspekte als Grund dafür, dass einzelne Dokumente nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürften.
Eine am Dienstag veröffentlichte Studie von Greenpeace lässt unterdessen die Abschaltung von Tihange noch dringlicher erscheinen. Sicherheitsexperten der Umweltorganisation hatten sich Kraftwerke in Frankreich und Belgien genauer angesehen. Dabei stellten sie fest, dass Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente, in denen eine hohe Strahlung herrscht, nur unzureichend geschützt sind. In Deutschland werden die Abklingbecken mit einem Sicherheitsbehälter versehen, dies sei bei den untersuchten Kraftwerken in Frankreich und Belgien nicht der Fall. Terroristen sei es unter Umständen möglich, die Becken zu beschädigen. Eine Folge wäre das Auslaufen von Kühlwasser. Die ungekühlten Brennstäbe könnten in der Folge explodieren und große Landstriche radioaktiv verseuchen. Details aus der Studie werden von Greenpeace wegen des brisanten Inhaltes nicht veröffentlicht. Sie wurde allerdings den verantwortlichen Behörden übergeben.
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