Verleumdung und Verharmlosung
Die rechte Szene besetzt Orte, bildet Mythen und macht sich Symbole zu eigen
Alternative Wahrheiten und Fake News sind aktuell in aller Munde, aber speziell auch selbstinszenierte Narrative von Frühgeschichte und Archäologie verfälschen seit Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse. Die rechte Szene versteht sich bestens darin, mit selbst konstruierten Bildern und Mythen eine Heroisierung und Legendenbildung zu erzeugen - der Nationalsozialismus hat es vorgemacht. Eine Fachtagung unter dem Titel »Odin mit uns! - Wikingerkult und Rechtsextremismus« in der Akademie Sankelmark vor den Toren Flensburgs beschäftigte sich jetzt mit dem Phänomen und lockte 120 Teilnehmer aus ganz Deutschland an.
Anlass war ein Blick auf die sogenannten Wikingertage in Schleswig, seit Jahren vor allem auch ein touristischer Anziehungspunkt. Im vergangenen Jahr tauchte dort bei den gespielten Schaubildern ein Schild mit einem achtarmigen Hakenkreuz auf, in diesem Jahr vermehrt das in rechten Kreisen beliebte Symbol der schwarzen Sonne, das von den Nationalsozialisten in der Wewelsburg eingelassene Bodenornament. Unwissenheit? Naivität? Schleswig ist mitnichten ein Einzelfall, auch in anderen Freilichtmuseen, an Naturdenkmälern, auf Mittelaltermärkten oder in speziellen Konzert- und Festivalszenen stößt man auf solche Beispiele.
Alte germanische Schriftzeichen, wie Runen, Kettenanhänger wie der Thorshammer oder das frühmittelalterliche Heiligtum des Irminsuls, genießen nicht nur in heidnischen Zirkeln Bedeutung. Rechte Gruppierungen, esoterische Strömungen und Sekten wollen mit ihren Verklärungen dem Christentum, vor allem aber dem Feindbild Judentum ihre Demagogie, eigene Rituale und eigene Zeichen entgegensetzen. Dazu wird Geschichte instrumentalisiert oder Phantasiebilder werden entwickelt, die Konstruktion und Beibehaltung von Rollen- und Geschlechterbildern inklusive. Gideon Botsch von der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus der Universität Potsdam sprach in diesem Zusammenhang von der Schaffung einer »historisch-fiktionalen Gegengeschichte« - die Umschreibung eines Wissenschaftlers für Verschwörungstheorien.
Ethnologen und Anthropologen stehen ebenso vor dem Problem. Sagen und Überlieferungen halten einem Realitätscheck häufig nicht Stand, werden aber für ideologische und geschäftliche Interessen eingesetzt. Sehnsüchte nach Heimat, Vorfahren und Stammbäumen fordern Erklärungsmuster ein. Der oberflächliche Blick auf Ahnen und Volksstämme muss herhalten, wissenschaftliche Vorbehalte bleiben außen vor. Germanen, Normannen, Nordmänner, Wikinger - alles wird zu gerne vermischt.
Unter den Teilnehmern der Veranstaltung waren auch mehrere Reenactment-Darsteller. Die Profi- oder Laienschauspieler von Living History unterliegen einer besonderen Verantwortung in der Übermittlung von Geschichte und verwahren sich dagegen, pauschal in eine rechte Ecke gestellt zu werden. Karl Banghard, vom Archäologischen Museum Oerlinghausen hat sich in der Reenactment-Szene umgesehen und warnt in einer Publikation eindringlich vor »Nazis im Wolfspelz«. Ute Drews vom Wikinger Museum Haithabu bei Schleswig weiß, warum Aufklärung und Sensibilisierung in diesem Themenfeld so wichtig sind. In der Vergangenheit war Haithabu immer wieder Pilgerstätte für Alt- und Neonazis.
Die Antifa hat schon lange die Aktivitäten rund um das selbst ernannte historische Dorf Gannahall im brandenburgischen Nauen im Auge. Dem dortigen Träger Semnonenbund, der die Rekonstruktion der frühgeschichtlichen Siedlung plant, attestiert sie eine braune Nähe. Flankiert laufen vor Ort in der Regel ohne kritiklose Hinterfragung Kinderfeste, der Kontakt mit Schulen und ein regelmäßiges Rock- und Metalfestival.
Musik bildet überhaupt eine wichtige Funktion, mit Figuren wie Wotan, Thor oder Odin nicht nur nordische Götter zu benennen, sondern diese auch in einen rechtsextremen Kontext zu stellen. Beispiele dafür wurden auf dem Sankelmark-Seminar von Niels Penke, Skandinavistik-Experte und Germanist an der Universität Siegen, zuhauf vorgestellt, angefangen bei der früheren Berliner Rechtsrockband Landser bis hin zum heute in der rechten Szene angesagten neonazistischen Rapper Makss Damage. Es sind dabei nicht nur verräterische und blutrünstige Songtexte. Die Coverbilder von Tonträgern oder die Bebilderung von Booklets, die einen schwertschwingenden Wikinger illustrieren, vermitteln immer bereits die Botschaft von Kampf, Gewalt, Stärke, weiße Hautfarbe und Überlegenheit. Neben Musik wird aber auch über Literatur versucht, Einfluss zu nehmen. Als Beispiel dafür ist dient der Arun-Verlag, dessen Verleger Björn Ulbrich etliche Jahre die 1994 verbotene Wiking-Jugend durchlief.
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