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Was bleibt vom Strike Bike?

Vor genau zehn Jahren schrieben die selbstverwalteten Fahrradproduzenten Sozialgeschichte.

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ehemalige Fabrikgebäude an der Freiherr vom Stein-Straße in Nordhausen ist längst abgerissen. Nichts erinnert mehr daran, dass hier Ende Oktober 2007 und damit vor genau zehn Jahren über 130 Beschäftigte mit der selbstverwalteten Produktion von 1830 Exemplaren des »Strike Bike« ein starkes Stück deutsche Sozialgeschichte schrieben. In jenen Tagen blickten viele auf Nordhausen in Nordthüringen. Selbst das Frühstücksfernsehen vermittelte live aus der Fabrikhalle einen Hauch von Arbeiterselbstverwaltung und bescherte der um ihre Zukunft kämpfenden Belegschaft bundesweit viel Sympathie und Beachtung.

Die auf eine Woche befristete Strike Bike-Produktion war Höhepunkt und vorläufiges Ende eines monatelangen Abwehrkampfes gegen die drohende Schließung des aus dem ehemaligen IFA-Kombinat der DDR hervorgegangenen Fahrradwerks Bike Systems. Mit einer spektakulären, wochenlangen Besetzung machte die Belegschaft Schlagzeilen. Sie hatte mehrere Eigentümerwechsel und die Machenschaften von »Heuschrecken« erfahren und stand plötzlich vor dem Nichts. Dass sich 15 Jahre zuvor im nahen Bischofferode die Kalikumpel mit Besetzung und Hungerstreik gegen das drohende Aus gewehrt hatten, war noch in manchen Köpfen präsent.

Statt auf den Sankt Nimmerleinstag zu warten, an dem sich irgendein Investor für die aufmüpfige Nordhäuser Belegschaft erwärmen würde, setzten die Arbeiter selbstbewusst ein Zeichen. Am Ende einer gut drei Monate dauernden Besetzung produzieren sie in eigener Regie und mit einem Einheitslohn eine Woche lang gegen alle Widerstände und Bedenkenträger das legendäre knallrote Strike Bike. Sie hatten kollektiv Aufträge akquiriert, Teile bestellt, die Produktion geplant und durchgeführt. Menschen aus allen Himmelsrichtungen bestellten aus Solidarität ein Fahrrad und ermöglichten dem Experiment überhaupt erst eine materielle Basis. Der damalige Thüringer Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz (CDU) wetterte in einer Landtagsdebatte gegen das Strike Bike. Eine selbstverwaltete Produktion in einem besetzten Betrieb und unter Einsatz von Anlagen, die zur Insolvenzmasse gehörten, sei ein »großes Risiko für die Mitarbeiter«, so der CDU-Mann. Damit erntete er im Betrieb Wut und Kopfschütteln. Für die Arbeiter bedeuteten jene Monate eine Lebenserfahrung, die sie vorher nicht gekannt hatten. Nach Angaben eines Arbeiters herrschten »Zusammenhalt, Gleichheit und echter Freundschaft« unter den Männern und Frauen im Betrieb: »Es gab keine Rivalitäten, keine Grüppchenbildung, keine Arbeit im Stechschritt, dafür entspanntes Arbeiten und ein Lächeln auf den Lippen«. Dass ein Anstoß zur kollektiven Strike Bike-Produktion ausgerechnet von der anarchosyndikalistischen FAU kam, missfiel damals manchen in der IG Metall.

Am Ende hatten jedoch weder IG Metall noch FAU, geschweige denn die Politik weitergehende Perspektiven zum Erhalt der Nordhäuser Fahrradproduktion. So hatten auch Ideen für sinnvolle alternative Produkte und Projekte mit tatkräftiger Unterstützung durch die örtliche Fachhochschule und staatliche Stellen wie die Landesentwicklungsgesellschaft keine Chance auf Umsetzung. Am 1. November 2007 fügten sich die stolzen Fahrradwerker schließlich den »Sachzwängen« des Insolvenzverfahrens und räumten schweren Herzens den Betrieb. Die meisten Anlagen wurden demontiert und nach Ungarn weggekarrt. Einige Arbeiter versuchten später mit einer eigens gegründeten GmbH unter großen Opfern und alleine auf sich gestellt die Tradition der Fahrradproduktion weiterzuführen, konnten auf Dauer aber dem Druck des kapitalistischen Marktes und der Wirtschaftskrise nicht standhalten.

Was bleibt vom Strike Bike? »Es ist der Stolz, sich im Kampf um die Arbeitsplätze nicht geschlagen gegeben zu haben, die Besetzung und selbstverwaltete Produktion durchgezogen zu haben. Es ist auch die Erinnerung an gelebte Solidarität«, bringt es Alexander Scharff von der IG Metall Nordhausen auf den Punkt. Die Thüringer LINKE plant eine längere Dokumentation über den damaligen Kampf.

Was bleibt ist auch die Hoffnung, dass sich künftige Belegschaften im Kampf um ihre Arbeitsplätze am Elan der Strike Biker orientieren, aus ihren Erfahrungen lernen, noch weiter gehen und die »heilige Kuh« des kapitalistischen Privateigentums in Frage stellen. Erinnerungen an imposante deutsche Fabrikbesetzungen in den 1980er und 1990er Jahren sind leider längst verblasst. Dass besetzte, selbstverwaltete und teilweise unter dem Druck der Belegschaft verstaatlichte Betriebe allerdings auch unter höchst widrigen Bedingungen zehn Jahre und mehr überleben können, zeigen aktuelle Beispiele aus Venezuela und Argentinien.

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