Tornados auf Spatzen

Gericht sieht Versammlungsrecht durch Kampfjeteinsatz beim G8-Gipfel in Heiligendamm verletzt

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Der Überflug von Tornados der Bundeswehr über ein Camp beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 hat das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verletzt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in zwei Urteilen am Donnerstag entschieden (Az. 6 C 45.16 und 6 C 46.16). »Der Überflug stellt zwar keinen zielgerichteten, aber einen faktischen Eingriff in das Grundrecht der Kläger auf Versammlungsfreiheit dar«, sagte der Vorsitzende Richter Ingo Kraft. »Dieses ist nicht auf den Zeitraum der Durchführung der Versammlung begrenzt, sondern entfaltet seine Wirkung bereits im Vorfeld.« Damit bezieht sich Kraft darauf, dass das Camp in Reddelich zwar als Unterkunft für Teilnehmer von Demonstrationen beim G8-Gipfel in Heiligendamm diente, aber eben selbst keine Demonstration und damit keine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes war.

»Ein faktischer Eingriff ist dann gegeben, wenn das staatliche Handeln einschüchternd oder abschreckend wirkt und geeignet ist, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen wollen«, ergänzte Richter Kraft. »Der Überflug des Kampfflugzeuges über das Camp in einer Höhe von nur 114 Metern hatte aus der Sicht eines durchschnittlichen Betroffenen im Hinblick auf die extreme Lärmentfaltung, den angsteinflößenden Anblick und die Überraschungswirkung im Kontext der Vorbereitung der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel einschüchternde Wirkung.«

Damit haben die Bundesrichter die beiden Fälle komplett anders gesehen als noch die Richter des Oberverwaltungsgerichts Greifswald, an dem die beiden Verfahren in Berufungsurteilen im Juli 2015 entschieden worden waren. »An einer solchen Abschreckungswirkung fehlt es hier schon deshalb, weil der Überflug selbst nur etwa eine Minute dauerte«, urteilte das Oberverwaltungsgericht vor rund zwei Jahren. Es sei nicht ersichtlich, »dass ein Demonstrationswilliger allein wegen der Beteiligung der Bundeswehr am Polizeieinsatz von der Teilnahme an zukünftigen Demonstrationen Abstand nehmen würde«. Hinzu kam bei den Urteilen aus Greifswald, dass nach Ansicht der Richter »auch von dem Anfertigen von Lichtbildern bei dem Überflug - bei verständiger Würdigung - keine ernsthafte Abschreckungswirkung ausging«.

Deshalb waren Paula R. und Matthias K., die die beiden Klagen eingereicht hatten, bei den Berufungsurteilen in Greifswald auch erfolglos geblieben. Dies war zuvor auch schon bei den Urteilen in erster Instanz beim Verwaltungsgericht Schwerin im September 2011 der Fall gewesen. Die Richter in Greifswald schrieben in ihre Urteile auch hinein, dass Revisionen zum Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen seien. Erst die Beschwerden wegen dieser Nichtzulassung führten dazu, dass es zu den Revisionsverfahren am Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig kam.

Allerdings ist damit die juristische Auseinandersetzung um die Tornadoflüge von Juni 2007 immer noch nicht zu Ende, auch wenn der G8-Gipfel von Heiligendamm inzwischen zehn Jahre zurückliegt. Denn die Bundesrichter wiesen die beiden Verfahren wieder zurück zum Oberverwaltungsgericht nach Greifswald. Das liegt daran, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Revisionsverfahren vor allem Verstöße gegen das Bundesrecht prüft, hier jedoch auch landesrechtliche Regelungen aus Mecklenburg-Vorpommern eine Rolle spielen. »Ob der Überflug als Maßnahme der Gefahrerforschung auf der Grundlage des Landespolizeirechts gerechtfertigt war, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach, konnte das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend entscheiden«, sagte Richter Kraft. Also werden sich die Richter in Greifswald wieder mit den beiden Klagen zu beschäftigen haben, was frühestens 2018 der Fall sein dürfte.

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