Allein in der Fremde
Plötzlich ist alles anders. Der Krieg hat das Leben von Mussa Algouri und seiner Familie im syrischen Damaskus grundlegend verändert. Wie aus dem Nichts tauchen vor sechs Jahren bewaffnete Menschen auf. Bomben explodieren in den Straßen der geschichtsträchtigen Stadt. Von allen Seiten hagelt es Gewehrkugeln. Ganze Stadtviertel verwaisen, weil dort gekämpft wurde. Die Menschen fliehen vor der Gewalt.
In Damaskus hat Mussa, Vater von vier Kindern, bis zum Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 ein schönes Leben geführt. Er arbeitete als Elektriker. Doch damit ist es nun vorbei. Mussa musste seine Heimat verlassen, wie viele andere auch.
Auf der Flucht wird seine neunjährige Tochter getötet. Mussa selbst wird schwer verletzt. Trotzdem flieht er weiter, denn er will seine Familie in Sicherheit bringen. Als nächstes kommen sie im Libanon an. Zwar gibt es in dem Land keinen Krieg, doch das Lager, in dem sie untergebracht werden, ist hoffnungslos überfüllt. Die Menschen sind gereizt. Sie gehen sich gegenseitig auf die Nerven. Haben kaum Möglichkeiten, sich auch mal zurückzuziehen und alleine zu sein. Gewalt und blutige Konflikte sind hier an der Tagesordnung. Mussa weiß, dass er mit seiner Familie hier nicht bleiben kann. Er entschließt sich, ein großes Risiko einzugehen: Schweren Herzens macht er sich auf, alleine nach Deutschland zu fliehen, um seine Familie später auf einem sicheren Weg nachzuholen.
Im Oktober 2014 wagt er die gefährliche Flucht über das Mittelmeer. Auf diesem Weg sterben regelmäßig sehr viele Menschen. Mussa hat Glück. Er überlebt die gefährliche Überfahrt und reist weiter nach Deutschland. Ende 2015 wird er in Niedersachsen als Flüchtling anerkannt und erhält Asyl. Damit darf er endlich auch seine Familie zu sich holen - jedenfalls theoretisch. Denn in der Praxis ist es komplizierter: Die zuständige Behörde antwortet einfach nicht. Seine dreijährige Tochter ist schwerbehindert und leidet an einer Hirnlähmung. Eigentlich müsste sie dringend ins Krankenhaus. Die Behörde verlangt, dass Mussa Atteste über den Zustand seiner Tochter einsendet. Neun ärztliche Atteste hat er bereits eingereicht, die alle bescheinigen, wie schlecht es der Tochter geht. Trotzdem scheint sich die Behörde nicht darum zu kümmern. Angst hat Mussa auch um seinen 17-jährigen Sohn. Denn sobald dieser 18 Jahre alt und damit volljährig wird, kann er nicht mehr von seinem Vater nach Deutschland geholt werden. Er müsste dann ganz alleine ohne Familie im Libanon bleiben, oder auf eigene Faust die gefährliche Flucht wagen. Laut Gesetz dürfen nur minderjährige Kinder von ihren Eltern nachgeholt werden.
Hinzu kommt, dass auch Mussa medizinische Hilfe braucht. Er ist auf der Flucht sehr schwer verletzt worden. Bombensplitter stecken noch in seinem Körper. Deswegen braucht er dringend eine Operation. Die will er aber erst machen lassen, wenn seine Frau und die Kinder endlich bei ihm im sicheren Deutschland sind. Wann es endlich soweit sein wird, ist unklar. Bis heute wartet Mussa auf eine Antwort der Behörden.
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