Die leer Ausgehenden
Nicht alle profitieren von der Belebung auf dem Arbeitsmarkt
Eigentlich sieht die Situation auf dem Berliner Arbeitsmarkt recht erfreulich aus. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 160 000 gestiegen. Zum Vergleich: Das VW-Werk in Wolfsburg, Europas größtes Automobilwerk, hat rund 57 000 Beschäftigte. Bernd Becking, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Berlin-Brandenburg, sah bei der Vorstellung der aktuellen Arbeitsmarktzahlen am Donnerstag darin eine beeindruckende Entwicklung. Die Arbeitslosenquote fiel im Oktober auf 8,6 Prozent und erreichte damit den niedrigsten Stand seit Beginn der Gesamtberliner Statistik 1991. Konkret heißt das, dass im Oktober 162 600 Menschen ohne Arbeit waren, knapp 2700 weniger als im September und 9300 weniger als im Vorjahr.
Doch diese Zahlen haben eine Schattenseite. Unverändert hoch ist nämlich die Erwerbslosigkeit bei Jugendlichen. Die Quote bei den unter Zwanzigjährigen lag im Oktober bei 11,7 Prozent. Für Becking ist von zentraler Bedeutung, Berufseinsteiger in eine Ausbildung zu vermitteln. Dass dies nicht leicht ist, verdeutlicht ein Blick in die Statistik: 20 800 Jugendliche meldeten sich von Oktober 2016 bis September 2017 bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern, um Unterstützung bei der Ausbildungssuche zu bekommen. Nicht alle hatten dabei Erfolg. Es gab nämlich in diesem Zeitraum nur 14 650 Ausbildungsstellen. Ende September hatten noch 2348 Jugendliche keinen Platz gefunden, deutlich mehr als im Jahr zuvor, als die Statistiker noch rund 650 unversorgte Bewerber weniger zählten.
Für Elke Breitenbach (LINKE), Senatorin für Arbeit und Soziales, ist das ein alarmierender Zustand. »Es geht um die junge Generation, die eine Zukunft braucht. Viele fangen aus der Not heraus Maßnahmen an, um Zeit zu gewinnen.« Breitenbach bemängelte, dass die Beteiligung der Berliner Unternehmen an der Ausbildung trotz der guten Konjunktur seit Jahren abnehme.
Allerdings, und darauf wies Ulrich Wiegand, Geschäftsführer der Handwerkskammer Berlin hin, gibt es auch noch immer unbesetzte Ausbildungsplätze für dieses Jahr. »Im Handwerk haben wir aktuell 670 freie Lehrstellen, die sofort besetzt werden können.« Branchenübergreifend sind es auf dem Berliner Arbeitsmarkt rund 1200 unbesetzte Plätze. Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) kennt das Problem - eine Vermittlung gelinge nicht immer, sagte deren Sprecher Jörg Nolte. Obwohl die Bemühungen bereits intensiviert worden seien.
Der Ausbildungsmarkt ist also unübersichtlich. Aufgrund des angespannten Lehrstellenmarktes unterschrieben manche vor Beginn ihrer Ausbildung mehrere Verträge, erzählte Nolte. Zudem werde etwa jede dritte Stelle wieder abgebrochen - manchmal gebe es nur einen Wechsel in einen anderen Betrieb, aber zwischen 12 und 15 Prozent der Auszubildenden hörten während der Lehrzeit ganz auf, so Nolte.
Angesichts dieser recht großen Unstetigkeit fordert Becking eine »hochwertige Berufsorientierung«. Für Breitenbach bleibt dagegen das vornehmliche Problem, dass nicht für alle Jugendlichen, die eine Ausbildung machen wollen, auch ein Platz zur Verfügung stehe. Zweifelsohne ist das ein Appell an die Berliner Wirtschaft.
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