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ICE-4 soll Anne Frank heißen
Bahn will historische Persönlichkeiten ehren
Die Konterfeis 25 »historischer Persönlichkeiten« sollen künftig die neuen ICE-4-Züge der Deutschen Bahn zieren. Gesucht wurden seit Mitte September bedeutende deutsche NamensgeberInnen »aus den Bereichen Kultur, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Sport«, wie es in einem Aufruf heißt. Ob es angesichts sechs Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden eine gute Idee ist, ein hochmodernes Massentransportmittel nach der ermordeten Jüdin Anne Frank zu benennen, steht auf einem anderen Blatt - immerhin folgt die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolgerin auf die Deutsche Reichsbahn, die maßgeblich an der Massendeportation unzähliger Jüdinnen und Juden beteiligt war. Und so folgte die Kritik nach der Bekanntgabe der von einer Jury ausgewählten Top-25-Einsendungen stehenden Fußes: Fehlendes Taktgefühl, Respektlosigkeit oder gar Geschichtsvergessenheit wurde dem Unternehmen beispielsweise in sozialen Netzwerken, wie Twitter oder Facebook unterstellt.
Organisationen, wie das Anne Frank Haus in Amsterdam meldete sich zu Wort: »Diese Benennung wird kontrovers diskutiert, und das verstehen wir«, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Erklärung. »Die Verbindung zwischen Anne Frank und einem Eisenbahnzug weckt Assoziationen mit der Verfolgung und Deportation der Juden in der NS-Zeit. Es ist eine schmerzliche Verbindung für die Menschen, die die Deportationen erlitten haben, und löst erneut Schmerzen bei all jenen aus, deren Leben bis heute von den Folgen der damaligen Zeit geprägt ist«, so die Stiftung.
Man sei sich bewusst, dass Initiativen wie die Benennung des Hochgeschwindigkeitszuges nach Anne Frank in den meisten Fällen auf guter Absicht beruhten. Dennoch sei zu bedenken, dass der Name der von den Nazis ermordeten Jüdin eine große Symbolkraft habe. Er werde wiederholt losgekoppelt von seinem historischen Kontext mit aktuellen Anlässen verknüpft. »Diese Symbolkraft zeigt sich in vielen Bereichen, sei es bei der Benennung von Straßen, Schulen und Parks, jedoch auch in Halloween-Kostümen oder antisemitischen Äußerungen im Fußball«, heißt es weiter. Gemeint war damit die Verhöhnung Anne Franks durch antisemitische, rechtsextreme Fußballfans im vergangenen Monat in Rom und nun vermutlich auch durch Dortmund Fans.
Für das Unternehmen ist die Kritik bislang nur in Teilen nachvollziehbar. In einer Stellungnahme relativierte man die Entscheidung: »Es ist in keiner Weise beabsichtigt, das Andenken Anne Franks zu beschädigen«, heißt es darin. Vielmehr habe die DB im Bewusstsein um ihre historische Verantwortung entschieden, die Erinnerung an Anne Frank wachzuhalten. Eine Sprecherin sagte gegenüber »nd« auf Anfrage: »Die Jury wird sich in den nächsten Tagen in Ruhe zusammensetzen und abschließend beraten«. Den Vorwurf, mit der Benennung des ICE-4-Zuges Profit aus der Massendeportation jüdischer MitbürgerInnen schlagen zu wollen, wies sie zurück. Ziel der Namensvergabe sei es gewesen, historische Persönlichkeiten zu ehren und das Gedenken an sie zu bewahren. Der Name sei einer der meist eingesendeten Vorschläge unter den insgesamt 19 400 Einreichungen. »Selbstverständlich wird die DB die aktuell in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken ernst nehmen.« Man werde jüdische Organisationen, als auch die Familie Anne Franks zu Rate ziehen, hieß es.
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