Auf mährischen Kornfeldern

Martin Leidenfrost über die Wahlen in Tschechien, den einsamen Wahlsieger Andrej Babiš und Totalherbizide

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Als am vorletzten Samstag die tschechischen Wahllokale schlossen, fuhr ich aus goldenen Weinbergen ins kargere Hochland hinauf. Das Autoradio bereitete mich darauf vor, dass Antisystem-Protestlisten aller Art 122 von 200 Mandaten erhalten würden. Ich kam nach Südmähren, weil hier das Lebensmittel-Imperium »Agrofert« stark ist und weil Agrofert dem einsamen Wahlsieger Andrej Babiš gehört.

2015 hatte Agrofert ein erntereifes Feld seines Rivalen Bohumír Rada vernichten lassen, 116 Hektar Weizen und Mais, mit Totalherbizid. »Es gab wirklich keine andere Möglichkeit mehr, als die fremden Pflanzen auf unserem Feld zu beseitigen«, rechtfertigte sich der Konzernsprecher; überdies habe Rada einem Konkurrenten im Jahre 1998 dasselbe angetan. Ich fragte mich, warum 30 Prozent der Tschechen den Oligarchen und Medienmagnaten Babiš wählten. Sein prinzipienloser Pragmatismus der Mitte zog besonders frühere Sozialdemokraten und Kommunisten an, und dies, obwohl Babiš auch in Zeiten des Wachstums die überfällige Erhöhung des Mindestlohns ablehnte.

Expedition Europa
Martin Leidenfrost, österreichischer Autor, lebt im slowakischen Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

Ich begann in Boškovstejn. In dem stillen Weiler lebt der lauteste Kritiker von Agrofert. Bohumír Rada war mit 9000 Hektar der größte tschechische Farmer gewesen, seit der Übernahme seiner »AGRO Jevisovice« durch Agrofert hatte er noch 800 Hektar. Am Samstag war Radas nervöses Erwarten des Wahlergebnisses in ganz Boškovstejn zu hören - er arrondierte wie wild Erdreich am Teich. Wenigstens sah er auf dem Traktor wie ein Bauer aus. Von mir angesprochen, fragte er sogleich nach dem Ergebnis des Milliardärs. Er nannte Babiš einen »Gauner«, ein »Raubtier«, »er saugt alles auf«. - »Warum fallen so viele auf ihn herein?« - »Ich bin selber auf ihn reingefallen!« - »Hat er Charme?« - »Hat er.«

Ich übernachtete bei der Zentrale des Konzernteils, in Jevišovice. Nur noch wenige der 1200 Einwohner waren Landarbeiter, viele pendelten in Städte oder gar nach Österreich aus. Sie hatten zu 39 Prozent Babiš gewählt. Es gab eine Gastwirtschaft des Typs »hospoda«, die mir die These vom egalitär-antiautoritären Charakter der tschechischen Gesellschaft zu bestätigen schien: Zerlumpte Stammtrinker und weißgewandete Slimfit-Schwule, ein tätowierter slowakischer Nazihipster, ein Prager Sir in Chelsea Boots und eine lüsterne ausgebüxte Jungoma tranken zusammen. Ich war überrascht, ein Wahlargument zu hören, das ich aus hierarchischen Oligarchien wie der Ukraine kannte: »Babiš ist schon reich, er muss sich die Taschen nicht mehr vollstopfen.« Ein weißhaariger Altbauer nahm seinen Rum auf ex, mit theatralischem Schwung, um beim Schlucken wie eine Salzsäule einzufrieren. Er hatte für Rada gearbeitet, ließ nichts auf ihn kommen, »der Rest ist schmutzige Politik.«

Am Sonntag fuhr ich in den Grenzstreifen zu Österreich, aus dem 1945 die deutschsprachigen Südmährer vertrieben worden waren. Dort erfuhr ich, dass František Svatbík, das von Agrofert benannte Rada-Opfer, seit sechs Jahren tot war. Im Weinort Jaroslavice, in einem recht bescheidenen Häuschen, fand ich Svatbíks Witwe. Sie erinnerte sich nur vage an 1998: »Ich hatte ein volles Haus und andere Sorgen, aber irgend so was war da, mein Mann kriegte von dem Gift sogar was ab. Meine Tochter hatte keine Nerven dafür, sie gab das Feld auf.« Was auf dem vergifteten Feld angebaut worden war, wusste Frau Svatbíková nicht mehr. Die Pachtverhältnisse seien in den Neunzigern oft unklar gewesen, »die Messer zwischen den Landwirten waren gewetzt.« Sie lobte Babiš, er »wirtschaftet gut«.

Ich fuhr an den Tatort von 2015. Velký Karlov war ein neues Dorf, 1953 für eine neue LPG gegründet. 2017 war Radas berühmte Farm von Nilkrokodilen verkauft, die 2,7-Megawatt-Biogasanlage stank noch. Auch hier hatten nur noch wenige Bezug zur Landwirtschaft, »alles automatisiert«. 30 Prozent wählten Babiš, 18 Prozent einen halbjapanischen Einwanderungsgegner. Die Fußballer spielten gerade eine Heimpartie, ihr Trainer warf sich fluchend auf den Arsch. Als ich nach dem Totalherbizid fragte, hatten die Kolchosendörfler zwei Antworten: »Nichts davon gehört.« Oder: »Das ist mir so was von wurscht.« Als das Match gewonnen war, zeigte mir ein Älterer das Feld. Es lag oberhalb des Fußballplatzes. »Ich habe meine Weinstöcke gleich daneben«, sagte er, »zum Glück wurden die nicht angespritzt.« Ich betrachtete den riesigen Acker. Immerhin war wieder etwas gewachsen, grüne Büschel von Unkraut.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!