Generalstreik für politische Gefangene

Der katalanische Gewerkschaftsverband CSC will auf die Inhaftierungen durch den spanischen Staat reagieren

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein ohrenbetäubender Lärm in den Straßen Kataloniens, mit dem auf die Inhaftierungen von Mitgliedern der katalanischen Regierung durch den spanischen Staat in der Nacht auf Freitag reagiert wurde. Hunderttausende Menschen standen nicht nur topfschlagend auf ihren Balkonen, viele zogen auch demonstrierend durch die Straßen Barcelonas, Tarragonas oder Gironas, um gegen die Inhaftierung von Vizepräsident Oriol Junqueras und sieben Ministern zu protestieren und forderten einen Generalstreik.

Und die Proteste gingen auch am Freitag weiter, während die Richterin Carmen Lamela an der Ausfertigung internationaler Haftbefehle für den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont und vier weitere Minister gearbeitet hat. Diese halten sich in Belgien auf und Spanien will ihre Auslieferung erzwingen. Nach Angaben von Puigdemonts belgischem Anwalt Paul Bekaert wurden die Haftbefehle schon erlassen. Er kündigte an, sein Mandant werde in Belgien bleiben und mit den Behörden zusammenarbeiten. Dass schriftliche Haftbefehle noch nicht vorliegen, hängt wohl damit zusammen, dass sich Lamela vergaloppiert hat. Sie hatte die Minister am Donnerstag auch wegen »Rebellion und Aufruhr« inhaftieren lassen. Diese Tatbestände gehören aber nicht zu den Vergehen, die im Fall eines europäischen Haftbefehls inhaltlich ungeprüft bleiben. Daher könnten belgische Richter die Vorwürfe inhaltlich prüfen und eine Auslieferung ablehnen, wenn sie den Antrag für politisch motiviert halten.

Dass sich viele spanische Juristen einig sind, dass der Rebellionsvorwurf nicht greifen kann, da es dazu eine »öffentliche und gewaltsame Erhebung« wie beim Putsch 1936 oder beim Putschversuch 1981 braucht, weist auf die politische Motivierung hin. Dazu kommt die Tatsache, dass Lamela kollektiv alle wegen angeblicher Fluchtgefahr inhaftieren ließ, obwohl Innenminister Joaquin Forn und Arbeitsministerin Dolors Bassa extra aus Brüssel angereist waren, um der Vorladung vor Gericht nachzukommen.

Ihre Anwälte kritisieren, dass die Beschuldigten bisweilen nicht einmal 24 Stunden zuvor vorgeladen wurden, also eine Verteidigung nicht vorbereitet werden konnte. Das hätten sie in ihrem Berufsleben noch nie erlebt. Sie warfen Lamela vor, »vorsätzlich« im Sinne der spanischen Regierung gehandelt zu haben. Der Beschluss zur Inhaftierung »war schon geschrieben«, das Verhalten, Aussagen sowie die Anträge der Verteidigung seien ignoriert worden, beklagte sich der Verteidiger Andreu Van den Eynde.

Dass mit einem solchen Vorgehen Verteidigerrechte eines Rechtsstaats nicht gewahrt werden, der Ansicht ist auch der Oberste Gerichtshof. Richter Pablo Llarena hatte unter den gleichen Vorwürfen Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und die Mitglieder des Parlamentspräsidiums vorgeladen. Der Gerichtshof ist zuständig, weil sie noch über Immunität verfügen. Auf Antrag der Verteidiger wurden die Vernehmungen um eine Woche vertagt, damit die Anwälte den komplexen Sachverhalt studieren können. Die Beschuldigten konnten gehen.

Auch in Spanien sprechen immer mehr Leute von einem Skandal. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau nahm an einem Proteststreik teil, sprach von einem »schwarzen Tag für die Demokratie« und von »beispiellosen Vorgängen« seit dem Ende der Franco-Diktatur. Sie fordert die Freiheit der politischen Gefangenen mit einem Transparent an ihrem Rathaus. Der Chef der spanischen Linkspartei »Podemos« erklärte: »Es beschämt mich, dass in meinem Land Oppositionelle inhaftiert werden.« Man sei zwar gegen die Unabhängigkeit, »aber heute sagen wir: Freiheit für politische Gefangene«, so Pablo Iglesias.

Klar ist, dass die Gefangenen wohl so schnell nicht wieder freikommen werden. Am Freitag hat der Nationale Gerichtshof die Anträge der Verteidigung auf Haftverschonung für den ANC-Chef Jordi Sànchez und den Òmnium-Präsidenten Jordi Cuixart abgelehnt, die aber nur wegen angeblichem »Aufruhr« angeklagt sind. Klar ist auch, dass sich die Lage in Katalonien deutlich weiter zuspitzt. Der katalanische Gewerkschaftsverband hat nun einen Generalstreik für den 8. November angekündigt. Wie am 3. Oktober, nach dem brutalen Vorgehen gegen die Teilnehmer des Referendums, soll nun erneut das Land gegen die anhaltende Repression aus Spanien lahmgelegt und gleichzeitig gegen die spanischen Arbeitsgesetze gestreikt werden, die die Arbeitnehmer in den letzten Jahren weitgehend rechtlos gestellt haben.

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